Steuerung

aus: Kritisches Glossar Hilfen zur Erziehung. Düring, Diana et al. (Hrsg.) (2014)
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Wenn richtig ist, dass häufig über das gesprochen, konferiert und geschrieben wird, was als problematisch gilt, nimmt Steuerung sicherlich nicht von ungefähr einen vorderen Rangplatz ein. Die Kinder- und Jugendhilfe wie die Soziale Arbeit insgesamt bewegen sich nicht nur unter unklarem Problembezug in turbulenten Umwelten, sondern scheinen auch so hochgradig von unterschiedlichen Ressourcen und Fremdprogrammierungen – zuvörderst durch (Macht)/ Recht und Geld, aber auch von lokalen politischen Entscheidungen i. e. S. (Macht/Hierarchie) sowie (divergierenden) Transfers aus dem Wissenschaftssystem – abhängig zu sein, dass sie ständig „Irritationen“ in unterschiedlichsten Hinsichten unterliegen. Solche „Irritationen“ lösen u. U. Selbstreflexionsprozesse in den davon betroffenen Teilsystemen bzw. dort agierenden Organisationen aus und erscheinen häufig als Modernisierungs- bzw. Reform- oder eben als Steuerungsbedarf. „Die Frage der Steuerung der Hilfen zur Erziehung“, so M. Kurz-Adam, Leiterin des Jugendamtes der Stadt München, „ist im kommunalen Geschehen unablässiges Thema und eng verwoben mit den beständigen Modernisierungsbestrebungen, denen dieses Arbeitsfeld unterliegt.“ (Kurz- Adam 2011: 571) Dass die „Jugendhilfe (…) Instrumente und Verfahrensweisen zur Steuerung (braucht)“ (Gemeinsame Stellungnahme des DST und der AGJ 1999), scheint dabei so außer Frage, dass zumeist nur das Wie des Steuerns oder die Frage nach dem Subjekt von Steuerung(-sprozessen) – „Wer und was steuert die Jugendhilfe?“ (vgl. Verein für Kommunalwissenschaften 2011) – gestellt wird.

Historisch gründet die Idee der politischen Steuerung als rationale Einwirkung der Gesellschaft auf sich selbst in der Neuzeit, in der Aufklärung und in den absolutistischen Territorialstaaten Europas. Im Gegensatz zu einer „natürlichen, gottgewollten Ordnung“ galt die Gesellschaft nun als gestaltbar. „Im ‚aufgeklärten‘ Absolutismus diente der Staat nicht nur der Durchsetzung des oft auf Machterweiterung gerichteten Herrscherwillens, sondern er kümmerte sich auch um die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Der Staat wurde immer mehr zum Garanten öffentlicher Wohlfahrt und zur zentralen gesellschaftlichen Steuerungsinstanz (…)“ (Mayntz 2004: 67) Etymologisch sind Steuern und Regieren nicht nur verwandt, „(s)ondern wo immer die Lenkung eines sozialen Gebildes angesprochen ist, (…) weisen die Semantiken der Begriffe Herrschaft und Lenkung/Steuerung eine breite Überschneidungszone auf. (…) Unter dem historischen Blickwinkel ist politische Steuerung also fast gleichbedeutend mit Regieren. Und Regieren ist immer beides zugleich: Herrschaft und Steuerung“ (Wiesenthal 2006: 17) – wobei der hier zugrunde liegende akteurstheoretische Steuerungsbegriff (vgl. dazu Mayntz 1987; Scharpf 1988) sich zunächst gewissermaßen inputneutral darstellt, da er sich allein auf die Ziele und Wirkungen von Politik, also die Outputseite bezieht (vgl. ebd.). In dem Maße allerdings, in dem sich Steuerungsfunktionen vermehrt mit (primär evaluativen) „Wissen“ anreichern, gewinnt die Inputseite an Bedeutung (s. w. u.).

Alltagsweltlich überwiegt auch in der Kinder- und Jugendhilfe eine landläufige Vorstellung von „Steuern“ oder „Steuerung“, die eine klare Unterscheidung zwischen Steuerungssubjekt und Steuerungsobjekt, also einem steuernden Akteur und dem gesteuerten Objekt oder Zustand ebenso voraussetzt wie ein angemessenes Verständnis der Situation, in der gesteuert werden soll, und der erwartbaren Wirkung des jeweiligen Steuerungshandeln (vgl. Mayntz 1987). Diese „klassische“ Annahme drückt sich paradigmatisch im Bild des „Steuermanns“ aus, der das Ruder fest und das (Staats-)Schiff in turbulenter See bzw. Umwelt auf Kurs hält, um sein Ziel zu erreichen.

So bildhaft-plastisch der „nautische“ Steuerungsbegriff inklusive seines zielgerichteten und mittelabwägenden Handelns auch ist, kann er nur eingeschränkt und zur Beschreibung vergleichsweise einfacher Handlungssituationen, nämlich solcher, die als „game against nature“ bezeichnet werden, genutzt werden. Denn „soziales Handeln und folglich auch jeder Versuch der ‚sozialen‘ Steuerung (…) unterliegt einer zusätzlichen (Erfolgs-)Bedingung, nämlich der angemessenen Berücksichtigung möglicher Reaktionen des Interaktionspartners, weil dieser ja nicht als bloßes Objekt des Handelns, sondern ebenfalls als Handlungssubjekt zu veranschlagen ist. Weil die Berücksichtigung der möglichen Reaktionen subjekthafter Objekte wechselseitige Beobachtung voraussetzt, wobei nicht nur die unmittelbaren Beobachtungen zählen, sondern auch Annahmen, Erwartungen und damit das ganze Spektrum der möglichen (kontingenten) Reaktionen (und Aktionen und Absichten!), (…) haben wir es mit einer Situation der ‚doppelten Kontingenz‘ zu tun“ (Wiesenthal 2006: 15 f.). Mehr noch als vergleichsweise einfache Interaktionsbeziehungen setzen erfolgversprechende Steuerungsbemühungen unter Bedingungen hoher sozialer Komplexität voraus, eine Vielzahl von Möglichkeiten, nichtintendierten Nebenfolgen und potenziell folgenreichen Wirkungsketten – theoretisch kausal – in Rechnung zu stellen. Dies aber ist praktisch nicht möglich, weil verlässliche Kausaltheorien irrealer (zukünftiger) Ereignisse nicht möglich sind. „Deshalb können Bemühungen um ‚soziale Steuerung‘ nur auf unsichere Annahmen und Wirkungshypothesen gegründet sein“ (Wiesenthal a. a. O.: 16), nach denen Ereignisse (bestenfalls) mehr oder weniger wahrscheinlich, jedoch prinzipiell kontingent sind.

Dass der Steuerungsbegriff trotz erheblicher theoretischer Unschärfen (vgl. Lange 2000; 2003; Luhmann 1989; 1991) nicht nur spätestens seit den 80er- Jahren den Begriff der „politischen Planung“ weitgehend abgelöst hat, sondern in der politikwissenschaftlichen und soziologischen Diskussion überwiegt und praktisch für das politisch-administrative System (Politik wie Verwaltung) zumindest für zwei Jahrzehnte dominant geworden ist (während er nun bereits vom Governancebegriff abgelöst zu werden scheint bzw. innerhalb dessen eine neue Konnotation erfährt), folgt laut Luhmann aus einer „verschwommene(n) Kombination von Staatstheorie und Handlungstheorie, von Herrschaftskonzept und Kausalkonzept“ (Luhmann 1989: 5) und aus Gepflogenheiten des Denkens, insbesondere der Unterstellung simpler Subjekt-Objekt-Beziehungen. Interessanterweise – und für manche sicherlich überraschend – finden wir also auch bei Luhmann wieder den Verweis auf die Verbindung von Herrschaft und Steuerung.

In der Kinder- und Jugendhilfe dagegen taucht dieser Zusammenhang i. d. R. nicht auf, auch wenn im 14. KJB (2012) eine Ausnahme gemacht wird: Hier wird vergleichsweise deutlich formuliert, dass der Staat als zentrale Steuerungs- und Planungsinstanz fungiert, die – wenngleich es nicht problemlos möglich sei, eigendynamische Akteure hierarchisch zu steuern – „bestehende Akteure und Instanzen mit entsprechenden Rechten und Pflichten (ausstattet), damit sie bestimmte Leistungen überhaupt erfüllen können bzw. solche kollektiven Akteure dort (neu) (…) (schafft) und mit entsprechenden Handlungsberechtigungen (ausstattet), wo dies (…) erforderlich erscheint. Um diese steuernden, moderierenden, planenden und Rahmen setzenden Funktionen zu erfüllen, stehen den staatlichen Institutionen mit Recht, Geld, infrastrukturellen Maßnahmen und pädagogischer Interventionsform (sowie mit Information/Wissensdisseminierung – D.D./F.P.) unterschiedliche Instrumente zur Verfügung (vgl. Kaufmann 2009: 71 ff.)“ (KJB 2012: 73). Unter dem Einfluss staatlicher Regulierung müssen sich auftretende Akteure „bestimmten staatlichen Vorgaben und Standardsetzungen unterwerfen (…), können freie Träger (…) im Zuge der Integration in den Prozess der Erbringung öffentlicher Aufgaben Standards des öffentlichen Verwaltungshandelns übernehmen oder durch die Einführung von ‚Quasi-Märkten‘ durch neue Zuwendungsbestimmungen in SGBII/ SGB XII und SGB VIII gezwungen werden, aus der Privatwirtschaft kommende Management- und Handlungsstrategien zu übernehmen etc.“ (ebd.: 69). Ob die AutorInnen das wollten oder nicht: Deutlicher kann man den politischen Machtanspruch und Steuerungswillen kaum zum Ausdruck bringen als in dieser Passage. Sie verdeutlicht, „dass die Soziale Arbeit (und die Jugendhilfe – d. V.) (k)ein professionelles Projekt darstellt, das seine eigene Entwicklung irgendwie selbst gestaltet, (sondern sie sind – d. V.) (…) in die politischen und sozialen Prozesse eingeordnet, in denen es um die Verwaltung und Regulierung der Sphäre des ‚Sozialen‘ geht (…) Es wird davon ausgegangen, dass Wohlfahrtsregime bei der Ausgestaltung der Sozialen Arbeit eine Hauptrolle spielen, ihr rechtliche und moralische Autorität verschaffen und den Handlungsrahmen sowie die organisatorischen Räume für ihre Arbeit begründen. (…) Aus dieser Perspektive ist die Soziale Arbeit die Verkörperung bestimmter Governance Regime auf der Durchführungsebene (…)“ (White 2003: 419).

Spätestens seit den 1980er-Jahren verändert sich das politische Regime in eine Ordnung, die in ihrer Selbstbeschreibung zusammenfassend als „aktivierender Staat“ bezeichnet werden kann: „Unter dem aktivierenden Staat wird ein Staat verstanden, der zwar an einer umfassenden öffentlichen Verantwortung für gesellschaftliche Aufgaben fest hält, jedoch nicht alle Leistungen selbst erbringen muss. Seine Aufgabe ist es vielmehr, die Gesellschaft einschließlich der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zu aktivieren, zu fordern und zu fördern, sich selbst als Problemlöser zu engagieren. Dieser Staat ist keineswegs ein Minimalstaat, der nur dort tätig wird, wo die Gesellschaft dies fordert, sondern im Gegenteil, der aktivierende Staat tritt der Gesellschaft und ihren Individuen fordernd und fördernd gegenüber.“ (Bandemer/Hilbert 1998: 29) Dieser Form- und Funktionswandel des Staates und der damit verbundene Umbau des Wohlfahrtsstaates geht einher mit Vorstellungen einer Reformstrategie zweiter Ordnung (Kaufmann) bzw. kulminiert im normativ aufgeladenen Begriff (und entsprechend normativ aufgeladener Praxis) von „Governance“ als Steuerung(-sversuche) mittels einer Mischung aus einseitiger Machtausübung und Kooperation, Kommunikation und Verhandlung sowie der Dominanz von Prozessen über Strukturen und die kontinuierliche Veränderung von Strukturen (vgl. Benz 2004: 26 f.) – allerdings immer „im Schatten der Hierarchie“ (Mayntz).

Im Zuge dieser Reformstrategie zweiter Ordnung bzw. mit der Vorstellung von (Good) Governance kommt es gegenüber den bisher im Feld der Kinder- und Jugendhilfe vorhandenen „professionellen Steuerungsformen zu kritischen Neueinschätzungen und gegenüber solchen eher außerhalb des professionellen Einflusses stehenden Steuerungsformen zu optimistischeren Erwartungen“ (Polutta 2014: 63), die seit den 1990er-Jahren vor allem mit der (kommunalen) Einführung und partiellen Umsetzung des sog. „Neuen Steuerungsmodells“ (NSM) sowie der damit verbundenen Etablierung von (mehr) Markt und Wettbewerb verallgemeinert und in der Folge hegemonial, jedoch regional/örtlich unterschiedlich ausgebaut wurden (vgl. zusammenfassend: Düring 2011: 35–55). Einig ist man sich, dass die aktuell in der politischen Praxis verfolgten Steuerungsstrategien alles andere als kohärent sind und ein Mix aus z. T. gegenläufigen sozialwissenschaftlichen, sozialtechnologischen und betriebswirtschaftlichen Steuerungskulturen die gegenwärtigen Reformen prägen.

Allen Unschärfen im Steuerungsbegriff und mehr als ernüchternden Erfahrungen mit praktischen Steuerungsversuchen zum Trotz gilt weitgehend unwidersprochen: „Ergebnis- und zielorientierte Steuerung der Entscheidungsprozesse auf der strukturellen wie auch der individuellen Ebene sind (…) das Gebot einer modernen und modernisierten Verwaltung geworden“ (Wiesner 2003: 5), der sich auch die Kinder- und Jugendhilfe nicht entziehen könne. Das Thema „Steuerung“ betrifft das gesamte Feld als auch den Einzelfall. Es betrifft die Ebenen der Steuerung politischer Entscheidungen, der Fachkräfte, der (manageriellen) Steuerung von Organisationen wie die Aufforderung an die Wissenschaft, aber auch an Schlüsselinstitutionen selbst, solch steuerungsrelevantes Wissen zu Verfügung zu stellen. Die Verfahren auf kommunaler Ebene reichen dabei von (wie auch immer zustande gekommenen) Standard-, Qualitäts- und Zielerreichungsvereinbarungen, Personalsteuerung, finanziellen Anreizen, Case Management, Benchmarking bis hin zu Versuchen der Wirkungssteuerung.

Das SGB VIII enthält dazu relativ viele Ansatzpunkte. Es finden sich – wenngleich unterschiedlichen Logiken folgend – zahlreiche Aussagen zu Steuerungsverpflichtungen und -möglichkeiten: Nach § 79 SGB VIII hat der öffentliche (staatlich/kommunale) Träger die Gesamtverantwortung für die Bereitstellung der örtlichen erforderlichen Einrichtungen und Dienste, wozu ihm die Jugendhilfeplanung (§ 80) und die Zuständigkeit und Verpflichtung zur (dialogischen) Entwicklung von und Maßstäben für eine inhaltlich nicht näher bestimmte Qualität und deren Gewährleistung (§ 79a) als (Steuerungs-)Instrumente ebenso zu Verfügung stehen wie die §§ 78a–78g, welche die abzuschließenden Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsentwicklungsvereinbarungen mit freien Trägern und anderen Leistungserbringern regeln, die er – ungeachtet seiner Garantenstellung, die einschließt, ggf. eigene Angebote vorzuhalten – überdies zu fördern und zu beteiligen hat. Für diese Bereiche gibt das KJHG auch zugleich „Steuerungsgremien“ und „-orte“ vor, wie z. B. Jugendhilfeausschüsse (§ 71), Arbeitsgemeinschaften (§ 78), Netzwerke (§ 3 KKG) und andere – zunehmend präventiv ausgerichtete – Verhandlungsgremien und -partner (§ 81), deren Steuerungsmöglichkeiten und vor allem Steuerungsleistungen allerdings schon ob ihrer Konstruktion/Zusammensetzung teilweise als „unzureichend“ kritisiert werden (vgl. Düring 2011: 45 f.).

Des Weiteren stehen den öffentlichen Trägern unterschiedliche Finanzierungsformen und damit das Steuerungsmedium „Geld“ zu Verfügung – als Objektfinanzierung/Subventionen, als Subjektfinanzierung/Finanzierung individueller Leistungen, als Sozialraumbudgets/gebietsbezogene Leistungsverträge mit Vorgabe eines Kostenrahmens. Empirisch am bedeutsamsten, aber auch prinzipiell konflikthaftesten erweist sich die Ebene der individuellen Fallsteuerung (§§ 36a, 36). Im Zuge der individuellen Hilfeplanung gilt es subjektive Rechtsansprüche, (dialogische) Betroffenenbeteiligung einschließlich deren „Wunsch- und Wahlrecht“ (§ 5) und s.m.a.r.t.e Hilfeziele mit Organisationsvorgaben und -zielen sowie zugänglichen Hilfeangeboten Dritter zu harmonisieren – ein Vorhaben, was häufig zu Ungunsten der Betroffenen misslingt, insofern ihre subjektiven Hilfevorstellungen, ihre biografischen Erfahrungen und ihre Partizipationsrechte gegenüber dem „mandatierten Machtüberhang“ der bürokratischen Professionellen auf der Strecke bleiben (vgl. Hamberger 2008: 50; Greschke/Klinger/Messmer 2010: 62 ff.).

In dieser mit divergierenden Ansprüchen „überfrachteten“ Dimension der Einzelfallsteuerung finden sich zahllose – zumeist vergebliche – Versuche, die Hilfen zur Erziehung über die Parameter „Zugang“, „Qualität“, „Finanzbedarf“ und „Leistungsumfang“/„-dauer“ zu steuern, die häufig noch mit zusätzlichen „Philosophien“ aufgeladen einhergehen, wie z. B. „subjektorientiert zu steuern“ (Kurz-Adam 2011), „ziel- bzw. wirkungsorientiert zu steuern“ (IKO-Vergleichsring; www.wirkungsorientierte-jugendhilfe.de) oder auch auf vermeintlich selbstevidente Formeln gebracht werden, wie „ambulant vor stationär“, „Regeleinrichtung vor Spezialeinrichtung“ oder „Sozialraumbudgetierung“, die bei Bedarf unterschiedlich konzeptionell aufgefüllt werden können. Es finden sich Programme zur Fallsteuerung „im Sinne der Aktivierung, Beteiligung und Responsibilisierung“ von Hilfeeinrichtungen wie Betroffener und zunehmend Eltern, „im Sinne einer Standardisierung pädagogischer Entscheidungen, Programme zur institutionellen Zusammenarbeit im kommunalen Jugendhilfesystem, Programme zur Förderung von Markt und Wettbewerb“ (Polutta 2014: 130; vgl. ebd.: 132 ff.).

Als der entscheidende Hebel zur Durchsetzung vermehrter ökonomischer Rationalitäten, von Wettbewerb und vermehrter Kontrolle der Hilfeprozesse und der sie erbringenden Organisationen erwiesen sich dabei einerseits die Philosophie des NPM, aber vor allem das Inkrafttreten der §§ 78a–78g (1999), deren Intentionen mit dem § 79a (2012) nochmals verstärkt wurden. Mit den „Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsentwicklungsvereinbarungen“, die zunächst als Ansatzpunkte zur Kostendämpfung, -transparenz und (mehr) Effektivität gedacht waren, war der Weg frei, um über eine umfängliche Qualitätsdebatte, die schon bald ausdrücklich auf „Wirkungsqualität“ abzielte, die Ökonomisierung des Feldes voranzubereiten (vgl. Peters 2011). Ob der Gesetzgeber mit der Novellierung und Einfügung der §§ 78a ff. zugleich auch den Wettbewerb fördern wollte oder nicht oder eher dialogische Verfahren präferierte, spielt de facto keine Rolle. Nach dem Motto „Wer zahlt, bestimmt die Musik“, sind die Kommunen mehrheitlich längst dazu übergegangen, nach politischem Entscheid diese Frage im Sinne von mehr Markt und Wettbewerb zu regeln. Die Denkmuster der Ökonomie greifen, und in Gang gesetzt wird ein Prozess der betriebswirtschaftlichen Umstrukturierung bzw. Neusteuerung der Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe.

„Die Antworten auf die Grundfrage (…) ‚wer soll welche Leistung erbringen‘ lassen sich so in einem veränderten – und von den Vertretern der Wettbewerbsorientierung als höher-rational bewerteten – Kontext der Präferenzbildung einspeisen, in dem die Finanzierseite auf der Basis ökonomischer Daten und Kriterien erstens entscheiden kann, welche Dienste und Leistungen sie selbst erbringt und welche sie von externen Akteuren in ihrem Auftrag erbringen lässt (make or buy-Entscheidungen), und zweitens welchem der externen Leistungserbringer – die nun auf einer Art Markt miteinander konkurrieren – sie per Kontrakt einen entsprechenden Auftrag erteilt (Out-contracting). Schließlich sollen sich drittens angesichts einer erhöhten Verbindlichkeit und Rechenschaftspflichtigkeit (accountability) der vertraglichen Vereinbarungen über die gekauften Dienste und Leistungen und deren Eigenschaften, die durch präzise zu definierende Leistungsindikatoren zu ergänzen sind, der Finanziererseite neue Möglichkeiten eröffnen, die tatsächliche Leistungserbringung dichter zu kontrollieren.“ (Otto/Schnurr 2000: 6)

Solche Leistungsindikatoren werden einerseits durch vermehrte Evaluation gewonnen, die sich schon aus dem „purchaser-provider-split“ begründen, da der Einkäufer ja wissen muss, wofür er sein Geld verausgabt, und vermehrte Vergleiche (Benchmarking) der kommunalen Träger untereinander, wodurch sich auch der Charakter der örtlichen Jugendhilfeplanung als einer bisher gemeinsamen Sache der vor Ort tätigen Leistungsanbieter verändert. Aus diesen Erfahrungen entstehen u. U. Lösungsketten bzw. Politik- und Steuerungsstrategien, aus denen die Beteiligten nicht ohne Weiteres ausbrechen können. In einem solchen „cropping-up-Modell“ (Brunsson) sorgt allerdings die Ungleichzeitigkeit kontextspezifischer Adaptionsbedingungen immer wieder für Heterogenität. Ferner gilt zu berücksichtigen, dass kontextspezifische Adaption Sache von Organisationen ist, den nicht zu unterschätzenden „local orders“ (vgl. Tacke 2003: 79).

Dennoch findet eine entscheidende Veränderung statt: Das (lokale) Steuerungsmedium des professionellen Wissens verliert an Durchsetzungsmacht. Neben dem Bedeutungszuwachs von „Geld“ als Steuerungsmedium in den genannten Prozessen „sind es zugleich andere Wissensformen, die steuerungsrelevant werden. (…) ‚If taken seriously, the What Works agenda implies a (more or less) quiet revolution in Social Work. It adresses the modernization of both its knowledge base and the modes of utilizing knowledge in Social work practice‘ (Otto/Polutta/Ziegler 2009: 9).“ (Polutta 2014: 65) Die hier angesprochenen „Modernisierungen“ beziehen sich einerseits auf die Dissemination des evaluativen Wissens und andererseits auf Diskussionen um die sog. „evidence-based-practise“ (EBP) (vgl. Peters 2008: 82 ff.). „Vertreter einer evidenzbasierten Praxis verweisen explizit darauf, dass die wissenschaftliche Fundierung professioneller Entscheidungen im Mittelpunkt ihres Interesses steht (…) Die Verfahren zur Identifizierung der bestwirksamen Intervention (…) verheißen eindeutig identifizierbare actuarielle, d. h. versicherungsmathematisch berechenbare Wirkungswahrscheinlichkeiten (…) und damit auch Kosten-Nutzen- Berechnungen. Eine Orientierung von Hilfeentscheidungen an probabilistisch höchster Erfolgswahrscheinlichkeit ist weder mit Wünschen und Bedürfnissen von Adressaten verhandelbar, noch mit dem Erfahrungswissen von Fachkräften in Übereinstimmung zu bringen, sondern verweist auf kategorial verschiedene Handlungslogiken und Praxen (…)“ (Polutta 2014: 79 f.; vgl. auch Peters 2008: 80–82) Über seine Einbindung in managerielle organisatorische Steuerungsabsichten verbindet sich aber (empirisch generiertes und prinzipiell wissenschaftliches) Wissen mit bürokratischer Macht – und verändert dadurch seinen Charakter; es tendiert in Richtung „Gebrauchsanweisung“ – im Doppelsinn des Wortes: Es soll wie vermittelt gebraucht werden und geriert sich als Anweisung.

Dennoch bleibt die Frage, ob Steuerung gelingen kann. Aus systemtheoretischer Perspektive bleibt Skepsis: Da die eigenlogisch operierenden Systeme füreinander Umwelt sind und „alle Systeme mit ihrer Umwelt gleichzeitig existieren und gleichzeitig operieren“ (Luhmann 1989: 6), lassen sich zukünftige Zustände nicht verlässlich ansteuern, weil deren Bewegungen nicht ausschließlich durch frühere Zustände determiniert sind. Denn „während man steuert (…) passiert gleichzeitig milliardenfach schon etwas anderes, das man, weil gleichzeitig, weder kennen noch kausal beeinflussen kann“ (ebd.: 7). Ein zweites Problem in dieser Zeitdimension resultiert daraus, dass das steuernde System in jedem Steuerungsversuch sich und seine Umwelt „als zukünftig different zu denken“ hat (ebd.). Weil aber verlässliche Daten zur Bestimmung der zukünftigen System- und Umwelteigenschaften fehlen, kann nur in eine „offene“ Zukunft hinein gesteuert werden – ein schwieriges Unterfangen. Optimistischer ist die „engere“ Sozialpolitikforschung: Kaufmann z. B. geht von der organisatorischen Verfasstheit des (sozial-)politischen Systems nebst seiner grundsätzlichen Steuerbarkeit aus. Organisationen stellen in sachlicher, zeitlicher und sozialer Hinsicht teilsystemische Operationen auf Dauer. Organisationen aber können „durch Abstraktion von handlungsspezifischen Momenten rational strukturiert werden. Entscheidungen beziehen sich (…) auf generalisierbare Elemente konkreter Handlungsprobleme und Alltagssituationen“ (Kaufmann 2005: 42). Sie nutzen dazu generalisiertes, z. T. eigenerhobenes Wissen. Dieses Wissen ist teilsystemisch durchaus spezifisch und im Modus von Organisation im Wesentlichen evaluativ (sowie sekundär: kognitiv und normativ) orientiert und generiert. Dieses evaluative Wissen kann prinzipiell über Feedbackschleifen in die Praxis gelangen (vgl. dazu Peters 2008: 115 f.).

Empirisch zeigt sich jedenfalls übergreifend eine Zunahme von Steuerungsversuchen auf den verschiedensten Ebenen. Dies allein ist jedoch noch kein Hinweis auf das Gelingen, sondern könnte ebenso die Vergeblichkeit und immer neue Anläufe dokumentieren, wie aber auch darauf hinweisen, dass Steuerung nicht prinzipiell unmöglich ist, sondern u. U. gelingen mag, die sich (nur) ex post zumindest annäherungsweise unter der Annahme einer gradualistischen Steuerungsfähigkeit und intentionaler Akteure spezifizieren lassen. Aber da solche Diskurse immer umkämpfte Wissensdispositive konstituieren, die eine Praxis folgenreich auf sich auszurichten in der Lage sind (oder auch nicht), bleibt das Ergebnis offen.

 

Literatur

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