Junge Kinder in stationärer Erziehungshilfe
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Die Betreuung (sehr) junger Kinder im Alter von 0 bis 6 Jahren in den stationären Erziehungshilfen ist schon immer ein Thema, das insbesondere Legitimationsfragen aufwirft: historisch durch die erhöhte Säuglingssterblichkeit in Einrichtungen und auch in Pflegefamilien, die Kritik an den eingeschränkten Entwicklungschancen in Säuglingsheimen und aktuell in Fragen der Betreuung junger Kinder in Schichtdienstgruppen der Heimerziehung. Die sozialpädagogischen Ansprüche – mit empirischen Befunden auch aus Entwicklungspsychologie und Bindungstheorie gut begründet – stehen in Spannung zu den konkreten Möglichkeiten in der Praxis vor Ort: Spezielle Angebote ohne Schichtdienst für Kinder unter 4 Jahren? Welche Skills sind notwendig für Fachkräfte im Kontext junger Kinder in stationären Erziehungshilfen – z. B. im Umgang mit den hohen Ansprüchen u.a. an die Carearbeit mit sehr jungen Kindern? Wie gewinnt man eine ausreichende Anzahl an Pflegefamilien, die auch den Bedürfnissen junger Kinder mit z. T. gravierenden Belastungen gerecht werden?
Und das in einer Zeit, in der ein allgemeiner Fachkräftemangel und ein genereller Mangel an Plätzen in stationären Angeboten Thema sind?
Da ist es verführerisch, die sozialpädagogischen Ansprüche auf das Realisierbare hin zu kürzen, sich aus dem Elfenbeinturm der abgesicherten Wissensbestände auf das konkrete Angebot im Unterbringungsmanagement vor Ort abzuseilen. Das scheint uns aber im Sinne einer guten Koproduktion von Praxis und Wissenschaft nicht sehr reizvoll. Vielleicht können aber aus dem Unbehagen über die Differenz zwischen dem gut begründeten Anspruch und den praktischen Möglichkeiten Impulse für eine Weiterentwicklung der Erziehungshilfen gewonnen werden. Solche Impulse sollen in diesem Heft mit einem Schwerpunkt auf den stationären Angeboten nach § 33 und besonders § 34 SGB VIII diskutiert werden – wissend, dass weitere Handlungsoptionen auch in den ambulanten Hilfen zur Erziehung oder Mutter-Vater-Kind-Einrichtungen liegen.
Im einführenden Beitrag stellen Manuel Theile und Klaus Wolf zunächst zurückliegende und aktuelle „Debatten, Baustellen und Herausforderungen“ heraus. Nach einer Einführung in das Themenfeld „Junge Kinder in stationärer Erziehungshilfe“ werden Fragen zu besonderen Ansprüchen in der Betreuung junger Kinder sowie Profile des Wissens und Könnens in der professionellen Betreuung junger Kinder diskutiert und Herausforderungen herausarbeitet.
Im zweiten Beitrag analysieren Sandra Fendrich und Agathe Tabel auf Grundlage der Kinder- und Jugendhilfestatistik die Entwicklungen bei Vollzeitpflege und Heimerziehung für Kinder unter sechs Jahren und geben so differenzierte Einblicke in die statistischen Entwicklungen.
Aus Perspektive der öffentlichen und freien Kinder- und Jugendhilfe berichten – im dritten Beitrag – Anke Süvern und Reinhard Geuecke von ihren langjährigen Erfahrungen zu Unterbringungen junger Kinder in stationärer Erziehungshilfe und gehen u.a. der Frage nach, welche Konzepte, Modelle und Ideen positive Orientierung setzen können.
„Eltern junger Kinder in stationären Erziehungshilfen“ stehen im Mittelpunkt des vierten Beitrages. Stefanie Albus und Bettina Ritter diskutieren u.a. institutionelle Ermöglichungsbedingungen und „Behinderungen“ von Elternschaft junger Kinder.
Marion Moos schließt den Themenschwerpunkt mit dem Beitrag „Eltern und Kinder gleichermaßen im Blick!?“ ab und geht u.a. der Frage nach, inwiefern Eltern auch im stationären Kontext weiterhin im Kontext „junger Kinder in stationärer Erziehungshilfe“ präsent sein können.
Sind am Ende des Heftes also alle Fragen beantwortet? Das wäre zu viel erwartet. Aber einige Impulse, Verknüpfungen von Themen, einige Kriterien für eine professionelle Praxis und Hinweise auf Forschungsdesiderate werden möglich. Und daraus ergibt sich eine Aufforderung zum Weiterdenken, über auch in komplizierten Bedingungen gelingende Praxis zu berichten und die Fachdiskussion fortzusetzen – auch weil sie die fachliche Legitimation der Hilfen zur Erziehung stark berührt: Was hat die Kinder- und Jugendhilfe den jungen Kindern zu bieten?
Manuel Theile und Klaus Wolf
Aus dem Inhalt
Junge Kinder in stationärer Erziehungshilfe – Debatten, Baustellen und Herausforderungen
Manuel Theile, Klaus Wolf
Zur Rolle der Fürsorgeakte in der biografischen Erinnerungsarbeit. Befunde zur Akteneinsicht heimerfahrener Menschen
Michaela Ralser, Ulrich Leitner, Flavia Guerrini
Junge Kinder in Vollzeitpflege und
Heimerziehung - Ergebnisse der Kinder- und Jugendhilfestatistik
Sandra Fendrich, Agathe Tabel
Junge Kinder in stationärer Erziehungshilfe aus Perspektive eines öffentlichen und freien Trägers
Ein Gespräch zwischen Anke Süvern und Reinhard Geuecke
Eltern und Kinder gleichermaßen im Blick!? Spannungsfelder und Handlungsstrategien
Marion Moos
Internationale Kooperationen zum Schutz junger Menschen im Kontext des Ukrainekriegs
Marianna Bilyk (übersetzt von Lisa Albrecht)
Sexualisierte Gewalt gegenüber jungen Frauen in Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit
Claudia Daigler
Fall trifft Strukturanalyse: Das Qualitätsentwicklungsverfahren nach dem Landeskinderschutzgesetz Nordrhein-Westfalens
Erzsébet Roth, Gesa Bertels, Anna Generotzky, Susanne Witte, Stefan Heinitz
Die Normalisierung des Rechtsbruchs ─ Ein rechtspolitischer Kommentar zum aktuellen Zustand der Kinderrechte von Geflüchteten
Maximilian Pichl
Rechtswidrige Haushaltssperren bei jugendhilferechtlichen Leistungsverpflichtungen
Peter Schruth