Armut und Hilfen zur Erziehung

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ForE 5-2010

Über Armut wird in Deutschland wieder gesprochen! Das ist zunächst ein positives Zeichen, konzentrierte sich doch die mediale Berichterstattung der letzten Jahre v.a. auf das Megathema „Wirtschaftskrise“. Die damit angeheizten Ängste der bürgerlichen Klasse vor dem sozialen Abstieg verdrängten vielerorts die sich verschärfenden und zuspitzenden Lebenslagen von Bevölkerungsgruppen aus der Wahrnehmung. Spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 zur Bemessung des sozialrechtlichen Existenzminimums wird die Frage nach der Menschenwürde von BezieherInnen sozialstaatlicher Transferleistungen zu einer öffentlichen Diskussion, die zunehmend auch auf den skandalösen und unerträglichen Anstieg und die Situation von Kindern und Jugendlichen in Armutslagen hinweist. Dennoch: die RegierungspolitikerInnen zeigen sich in Bezug auf Maßnahmen zum Abbau sozialer Ungleichheiten als äußerst ‚aktivierungsresistent’.

Entgegen den derzeit zu beobachtenden Entwicklungen, wonach den Familien selbst immer mehr Verantwortung aufgebürdet werden soll, ihre eigensinnigen Lösungen und Lebensentwürfe jedoch verstärkter Kontrolle und Normierung unterliegen, wird mit diesem Heft der Blick auch aufstrukturelle Verursachungszusammenhänge und ihre Folgen gerichtet. Wir wollen der Frage nachgehen, welche Strategien sowohl politisch als auch im Bereich der Erziehungshilfe zurzeit erkennbar sind, die Armut als eine massive und zunehmend bedrohliche Einschränkung der Persönlichkeitsentwicklung, Teilhabechancen oder (schlicht) der gesamten Zukunft junger Menschen wahrnehmen.

Johannes D. Schütte und Ernst-Ulrich Huster fokussieren die aktuelle sozialpolitische Diskussion, die rund um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts entstanden ist. Dabei weisen sie eindeutig auf die quantitative Dimension und den Skandal der zunehmenden Kinderarmut hin und zeigen die Aktivitäten der Bundespolitik auf, die diesen Zustand sogar noch verschärfen.
Einen noch genaueren Einblick in die Datenlage erlaubt der Beitrag von Ulrich Bürger. Seine Analysen zeigen u.a. die große statistische Bedeutung, die im Bereich der Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung aus Armutslagen entsteht. Dass aber nicht Armut allein darüber bestimmt, ob eine Familie eine Erziehungshilfe beantragt und erhält, zeigt der Beitrag von Elisabeth Helming, die gezielt den Blick auf dieLebenssituation von Alleinerziehenden wirft. Hier wird deutlich, dass von Armut in hohem Maße Frauen betroffen sind, die häufig mit Versorgungs-, Erziehungs- und Sozialisationsaufgaben allein gelassen werden und bei denen Armut eine zusätzliche (oft unvermeidbare) Prekarisierung der Lebenssituation darstellt. Vor allem KollegInnen der SPFH sind oft mit Existenz bedrohenden Lebenssituationen dieser Familien konfrontiert. Hiers tellt sich dann die Frage nach der Professionalität und der Haltung, mit der Fachkräfte der Sozialen Arbeit diesen Familien begegnen. Holger Ziegler liefert dazu interessante, zum Teil ernüchternde Ergebnisse einer Studie, die er bei Studierenden der Erziehungswissenschaft durchgeführt hat. Auch wenn sie nicht repräsentativ für eine ganze Profession sind zeigen sie, dass sich sozialstaatsorientierte Haltungen hinsichtlich der Fragen nach dem Ziel der sozialen Gerechtigkeit, Teilhabe oder Armutsbekämpfung nicht ‚quasi-natürlich’ mit Studienbeginn in den Köpfen von Professionellen entwickeln. Vielmehr wird deutlich, dass der öffentliche Diskurs um die „Aktivierungspolitik“ und den Zuschreibungsprozessen der „neuen Unterschicht“ seine Wirkung auch in der Sozialen Arbeit nicht zu verfehlen scheint.
Jürgen Boeckh liefert schließlich einen Überblick zu europäischen Bemühungen zur Bekämpfung der (Kinder-)Armut.

Hier schließt sich der konzeptionelle Kreis dieses Themenheftes, in dem durch die Beiträge deutlich wird, dass viele Bemühungen im Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung 2010 nach wie ernüchternd sind, es aber zugleich auch an uns Professionellen liegt, dass Armut nicht nur als regionales und isoliertes Problem einiger weniger „sozial Abgehängten“ wahrgenommen und diskutiert wird.

Gregor Hensen, Diana Düring

 

Aus dem Inhalt

Friedhelm Peters:
Sozialabbau – der Skandal geht in die nächste Runde

Johannes D. Schütte, Ernst-Ullrich Huster:
Kinderarmut vor Gericht - Die Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts auf die Kinderarmut in Deutschland

Ulrich Bürger:
Armut und Familienstrukturen in den Herkunftsfamilien der AdressatInnen erzieherischer Hilfen

Elisabeth Helming:
Herausforderungen der Arbeit mit alleinerziehenden Müttern und ihren Kindern in Armutssituationen - Themen der Unterstützung durch die SPFH

HolgerZiegler:
Ungleichheit, Verantwortung und Gerechtigkeit. Zur Verortung der Sozialen Arbeit im aktivierenden Sozialstaat

Jürgen Boeckh:
Europäische Handlungsstrategien gegen (Kinder-)Armut

Luciana Cristina Marinho Schollmeier:
Kinderrechte und Sozialpartizipation in Brasilien

Marion Moos, Elisabeth Schmutz:
Heimerziehung als familienunterstützende Hilfe – Veränderungsorientierte Zusammenarbeit mit Eltern systematisch in den Regelstrukturen stationärer Hilfen verankern

Jörg Christoph:
Partizipation: eine lohnende Herausforderung für professionelles Handeln

Norbert Struck:
Notwendige Konsequenzen aus der Rücknahme der Vorbehaltserklärung zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention – mit Bezug zu einem Beschluss des Amtsgerichts Gießen (244 F 1159/09 VM vom16.07.2010)

 

Erscheinungsjahr
2010
Ausgabe
5
Sammelband
Nein
Ausgabe Jahr
2010