Geschäftsbericht 2011-2013

Inhaltliche Geschäftsberichte können einer gemeinsamen Rückschau auf das Erreichte dienen. Eine Rückschau, die den Blick in komprimierter Form noch einmal konzentrieren und die Aufmerksamkeit auf das Zukünftige richten kann. Der vorliegende Geschäftsbericht versucht zu beschreiben, was die Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen ( IGfH ) ­ als von vielfältigen Impulsen und ehrenamtlichem Engagement getragener Netzwerkorganisation ­ an äußerlich sichtbaren Aktivitäten und Produkten oder Initiativen geschaffen hat in den Jahren 2011 bis 2013. Das Zusammensuchen der Fakten ist jedes Mal ein durchaus mühsamer Prozess, aber im Laufe der Arbeit am Geschäftsbericht merken wir immer wieder wie viel der IGfH und ihren Mitgliedern gelungen ist; einiges hatte man schon gar nicht mehr präsent, anderes bleibt einem für immer im Gedächtnis wie die Jahrestagung mit vielfältigen öffentlichen Aktionen mit Kindern integriert in die Tagung 2011.

 

Themen setzen

Was deutlich wird im Bericht der vergangenen drei Jahre ist die Erkenntnis, dass die IGfH und ihre Mitglieder in Zeiten des politischen wie fachlichen Mainstreams und der manchmal auftretenden kollektiven Amnesie über bereits Gewusstes und Erarbeitetes in der Sozialen Arbeit immer noch Themen setzen kann und will. Ich nenne einige Beispiele: Anlässlich des sogenannten Haasenburg Skandals, einer Einrichtung der Geschlossenen Unterbringung (GU), erinnerte die IGfH an die alten und neuen Argumente dagegen, Kinder – auch nicht zeitweise – wegzusperren. Sie führte mit Petitionen eine breite öffentliche Debatte, veröffentlichte Argumente gegen diese auch im modernen Gewande daherkommenden Bankrotter-klärungen der Jugendhilfe und wurde dafür angegriffen. Im 2013 herausgebrachten Buch der IGfH-Arbeitsgruppe „Geschlossene Unterbringung (GU): Argumente gegen geschlossene Unterbringung und Zwang in den Hilfen zur Erziehung. Frankfurt am Main“ wird die Tradition des Wegsperrens betrachtet, der autoritären Fürsorge und ihrer Kritik nachgegangen, Geschlossenheit und Zwang in der DDR-Jugendhilfepraxis sowie die Renaissance freiheitsentziehender Maßnahmen am Ende des 20. Jahrhunderts finden Erwähnung. Im zweiten Hauptkapitel geht es um die GU, ihre Begründungen, Empirie, pädagogische und strukturelle Gegenargumente. Hannelore Häbel steuert dann ein Kapitel zu den rechtlichen Argumenten gegen GU bei.

Aber auch mit Projekten, die auf vergessene oder tabuisierte Themen der Hilfen zur Erziehung aufmerksam machten und wissenschaftliche Fundierungen schufen, beschäftigte sich der Verband 2011 bis 2013.

So brachte die IGfH mit einem Projekt zu Kinderschutz und Migration bzw. zu Hilfegewährungspraxen in den Erziehungshilfen und Migrationsaspekten (Abschluss Ende 2011) deutlich ins Bewusstsein, wie im Zuge der Neuregelung des § 8a SGV III zwar zahlreiche Arbeitshilfen zur Erkennung von Risikofaktoren und Risikostrukturen von Kindeswohlgefährdung erarbeitet wurden. Diese gingen jedoch nicht auf die spezifischen Lebenslagen und Zugangsbarrieren in der Arbeit mit Migrant*innen ein. Ursachen, die Gefährdungslagen des Kindeswohls hervorbringen, ebenso wie spezifische Bewältigungsstrategien im Umgang mit Migration, sozialer Benachteiligung und gesellschaftlicher Ausgrenzung wurden in der Vergangenheit wenig erforscht und Strukturen und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe kaum auf die Bedürfnisse von Migrant*innen abgestellt. Das Projekt erarbeitete mit den Jugendämtern Stuttgart, Essen und Germersheim Zugänge und Materialien zum Thema und veröffentlichte sie in Form eines Werkbuchs, was breite Resonanz fand. Der 464-seitige Band „Migrationssensibler Kinderschutz“, von Birgit Jagusch/ Ursula Teupe und Britta Sievers herausgegeben, wurde im Sommer 2012 im Eigenverlag der IGfH veröffentlicht. Das Werkbuch bietet umfangreiches Hintergrundwissen über alle Aspekte eines migrationssensiblen Kinderschutzes, angefangen von den rechtlichen und sozio-strukturellen Rahmenbedingungen, über im Kontext des Kinderschutz-auftrags bedeutsame Aspekte der Lebenssituation von Migrant*innen sowie kulturelle und zielgruppenspezifische Zugangswege in der Arbeit mit den Betroffenen.

Darüber hinaus wurden Forschungsergebnisse und Erfahrungen, die in Großbritannien in der Umsetzung des Kinderschutzes bei Migrantenfamilien gemacht wurden, ausgewertet. Die Ergebnisse wurden in dem 72-seitigen Band von Britta Sievers „Migrationssensibler Kinder-schutz – Anregungen aus Großbritannien“, der Anfang 2013 im Eigenverlag der IGfH erschien, dokumentiert und der Fachöffentlichkeit zugänglich gemacht.

Noch deutlicher wird die Setzung von Themen durch die IGfH im Berichtszeitraum bei der öffentlichen Platzierung des Themas „Care Leaver – junge Menschen aus Heimen und Pflege-verhältnissen beim Übergang ins Erwachsenenalter“ 2011 bis 2014. Junge Menschen, die durch Einrichtungen in öffentlicher Verantwortung (z.B. Heime, Pflegefamilien) betreut werden, sind in fast allen Ländern überproportional von Benachteiligung betroffen, dennoch war die Beschäftigung mit der Situation junger Volljähriger auch in der Fachszene sehr an den Rand gedrängt worden. Daher nahmen sich – auch um fachpolitisch das Thema mehr in das öffentliche Bewusstsein zu heben – die IGfH und die Universität Hildesheim dieser Frage in einem Modellprojekt an und widmeten sich der Frage, wie Jugendliche und junge Erwachsene, die in stationären Erziehungshilfen betreut werden, beim Übergang ins Erwachsenenleben besser unterstützt werden können. Das Hauptziel des Projekts bestand darin, einen Überblick über bereits existierende Modelle guter Praxis im In- und Ausland zu gewinnen, um dann einen Transfer in die Erziehungshilfen in Deutschland anzuregen. Darüber hinaus war es ein Anliegen des Projekts, mit einer solchen Analyse auch erstmals die Situation von jungen Menschen im Übergang aus stationären Hilfen in Deutschland aus der Perspektive der Fachpraxis näher zu beleuchten und die Diskussion zu diesem Thema anzuregen.

Ein (fach)politisches Positionspapier der IGfH und Universität Hildesheim bündelte die Ergebnisse, das fünf zentrale Forderungen zusammenstellt, deren Umsetzung die Situation junger Menschen aus stationären Hilfen im Übergang in das Erwachsenenleben nachhaltig verbessern können. Die Ergebnisse des Projekts werden in einem Anfang 2015 erscheinenden Handbuch veröffentlicht (Sievers, Britta / Thomas, Severine/ Zeller, Maren: Jugendhilfe - und dann? Zur Gestaltung der Übergänge junger Erwachsener aus stationären Erziehungshilfen, Eigenverlag der IGfH, 224 Seiten). Heute ist es – auch durch dieses Projekt – gelungen, dass Einrichtungen und vor allem die jungen Menschen in entstehenden Care Leaver Netzwerken selbstbewusst auf diese Fragen öffentlich aufmerksam machen und auch andere Verbände das Thema (wie-der) entdecken.

 

(Fach)Politisch Stellung nehmen

Auch politisch und fachlich hat sich die IGfH im Berichtszeitraum zu zentralen Themen eingebracht, so veröffentlichten wir umfangreichen Stellungnahmen zur gesetzlichen Weiterentwicklung des SGB VIII sowie zum Bundeskinderschutzgesetz ( BKiSchG ), zum 14. Kinder- und Jugendbericht oder auch zur „Weiterentwicklung und Steuerung der HzE und Inklusion von Kindern mit Behinderungen“ und vertraten die Positionen bei bundesweiten Anhörungen. Weiterhin hat die IGfH mehrfach das Wort zum Themenkreis „Große Lösung“ und Inklusion ergriffen und sich mit drei Forderungspapieren sowie der Entwicklung eines Projektes mit dem Bundesverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge und dem ISM Mainz eingebracht. Und wenn wir die sechs Stellungnahmen zur Heimerziehung und zur geschlossenen Unterbringung, die in wenigen Tagen von 2700 Kolleg*innen gezeichnete Petition gegen geschlossene Unterbringung hinzunehmen, dann sieht man, wie die IGfH auch in den letzten Jahren wieder klar Stellung bezogen hat. Darüber hinaus haben wir mit Themen wie Inobhutnahme, Junge Volljährige bei den Parlamentarischen Frühstücken der Erziehungshilfefachverbände mit Bundesparlamentarier*innen auch auf diesem Wege Akzente setzen und auf die Situation der Kinder und Jugendlichen sowie der Fachkräfte in den erzieherischen Hilfen aufmerksam machen können.

 

Alleinstellungsmerkmale und Kooperationen eingehen

Auch im Berichtszeitraum 2011 bis 2013 können die IGfH und ihre Mitglieder zufrieden auf ihre Leistungen blicken. Kein anderer Verband oder Träger bietet eine renommierte Fachzeit-schrift wie das Forum Erziehungshilfen im Beltz/Juventa Verlag mit einer Auflage von 2700 Exemplaren, was viele freie Abonennt*innen hat. Das wäre ohne das Engagement der ehren-amtlich tätigen bundesweit besetzten Redaktion kaum machbar.

Auch die Fülle und Qualität der von der IGfH initiierten und durchgeführten Modellprojekte zu aktuellen Themen der Kinder- und Jugendhilfe (allein zehn im Berichtszeitraum 2011 bis 2013, davon drei große Modellprojekte zu Themen wie Migration und Kinderschutz, Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, Care Leaver. Junge Menschen aus Heimen und Pflegekinderhilfe im Übergang) sind einzigartig.

Nimmt man die thematische Breite, Fülle und Qualität der Großtagungen der IGfH mit ihren Fachgruppen im Berichtszeitraum hinzu (elf Bundestagungen von 2011 bis 2013 mit jeweils mehr als 200 TN, meist 300 TN zu allen Feldern der Erziehungshilfen wie Heimerziehung, Tagesgruppen, Erziehungsstellen, Integrierte Hilfen, Pflegekinderhilfe etc.), macht das auch die IGfH aus, die ohne die Fachgruppen der IGfH nicht denkbar wäre. Nicht zu vergessen ist die internationale Arbeit und Ausrichtung als deutsche Sektion der Fédération Internationale des Communautés Educatives ( FICE ) e.V., die vielfältig auch in diesem Bericht dokumentiert ist.

Möglich ist das oft nur durch intensive Kooperation mit Partner*innen. Noch intensiver haben wir die Zusammenarbeit mit Kolleg*innen auch anderer Organisationen wie z.B. dem B-UMF, dem DIJuF , dem ISM u.v.a. gesucht. Auch die Kooperation mit den Verbänden der Erzie-hungshilfen intensivierte sich über die parlamentarischen Frühstücke für Bundespolitiker*innen oder gemeinsame Fachtagungen, um gemeinsam Themen der Erziehungshilfen zu platzieren.

 

Intern zusammengewachsen – bessere Abstimmung

Noch wichtiger ist es, da die Arbeit der IGfH in den letzten Jahren vielfältiger und komplexer geworden ist und damit in der Gänze nicht immer mehr von allen Aktiven überschaubar ist, dass wir gemeinsam in dieser Legislaturperiode Initiativen zur besseren Information und Ver-netzung in der IGfH recht erfolgreich gestartet haben.

So fand vom 25.-27.04.2012 in Berlin/Spandau eine moderierte Zukunftswerkstatt mit allen Aktiven der Delegiertenversammlung, des Vorstandes, der Fachgruppen, der Regionalgruppen und Arbeitskreise und Redaktionen statt. Das führte zu einer Überprüfung und Weiter-entwicklung der verbandsinternen Kommunikationsstrukturen, der Kooperation zwischen den einzelnen Fachgremien und der Zugänge zu den Gremien. Anhand der Vielzahl von größeren Fachtagungen (11), die im Berichtszeitraum 2011 bis 2013 gemeinsam von Fachgruppen, Vor-stand und einzelnen Delegierten sowie der Geschäftsstelle verabredet, gemeinsam geplant und durchgeführt wurden, sowie in der Auswertung der Legislaturperiode auf der letzten gemein-samen Delegiertenversammlung mit den Fachgruppensprecher*innen wurde deutlich, dass sich die Kommunikationsstrukturen im Verband deutlich verbessert haben und eine gemeinsame Ziel- und Aktivitätendefinition möglich wurde. Das hat den Netzwerkverband mit so vielen aktiven Fachkolleg*innen sicherlich gestärkt.

 

Engagierte Menschen und Fachleute gewinnen

Es bleibt für die Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen als offener Mitgliederverband wesentlich, dass engagierte ehrenamtliche Fachkolleg*innen – gemeinsam mit den Hauptamtlichen des Verbandes – ihre Akzente, Erfahrungen, Ideen in die IGfH einbringen und sie hier realisieren können. Als ein Beispiel sei an dieser Stelle die ehrenamtliche zeitaufwändige Arbeit der Redaktion Forum Erziehungshilfen genannt, ohne die eine der führenden Fach-zeitschriften für Erziehungshilfen in Deutschland nicht erscheinen könnte.

Als einziger Verband für Erziehungshilfe ist die individuelle Mitgliedschaft in der IGfH möglich und viele Einzelmitglieder gestalten in der Vielzahl von aktiven Gremien, wie dieser Geschäftsbericht wieder zeigt, in Kooperation mit den Leitungsgremien und der Geschäftsstelle die fachliche Ausrichtung des Verbandes.

Große Eintrittswellen in die IGfH gingen auf die Reformjahre in den 70er und 80er Jahren zu-rück. Diese sehr engagierten Einzelmitglieder gehen mittlerweile in Rente. Daher wurden im Berichtszeitraum vor allem Individualmitglieder angesprochen (z.B. durch eine neue, über-sichtliche Webseite mit den ganzen Dienstleistungen der IGfH, Infoblatt zu zehn guten Grün-den zur Mitgliedschaft in der IGfH etc.).

Allen Aktiven der IGfH, die sich in den letzten drei Jahren wieder verstärkt für die IGfH und für die Gewinnung neuer Mitglieder eingesetzt haben, sei für die Verbundenheit mit dem Fach-verband und für ihr Engagement herzlich gedankt! Nur durch dieses Engagement wird es lang-fristig möglich sein, die Zukunft als Mitgliederverband zu sichern, denn wir brauchen Fachkol-leg*innen, die sich in der Delegiertenversammlung, im Vorstand und den Aktivengruppen län-gerfristig für die Inhalte des Verbandes einsetzen wollen und sich auch zur Wahl stellen auf der Mitgliederversammlung!

Die IGfH als immer noch mitgliederstärkster Fachverband für Erziehungshilfen in Deutschland hat mit Abstand von allen Fachverbänden für Erziehungshilfen die niedrigsten Beitragssätze und hat unter diesem Gesichtspunkt keine hohe Schwelle zur Mitgliedschaft errichtet. Der Gewinnung von Kolleg*innen von öffentlichen Trägern wird sicherlich – neben der Ansprache von jüngeren Kolleg*innen – auch unter diesem Gesichtspunkt in den nächsten Jahren verstärkte Bedeutung zukommen.

 

Sicher wird es nicht einfacher auch finanziell die Fülle von Aktivitäten und die inhaltlichen Schwerpunkte des Verbandes (zum Beispiel das Streiten für eine nicht-ausgrenzende Kinder- und Jugendhilfe) abzusichern. Die Bilanzen zeigen in Jahren große Schwankungen und finanzielle Probleme entstehen vor allem dann wenn notwendige Investitionen anstehen. Auch im bundesweit akzentuierten Fort- und Weiterbildungsbereich der IGfH wirken sich gestiegene Kosten für Unterbringung und Referent*innen aus, die Fülle von Großtagungen bergen immer Chancen, aber auch finanzielle Risiken. Insgesamt kann aber auch dieser Berichtszeitraum finanziell recht solide und erfolgreich abgeschlossen werden.

Gemeinsam haben die alten und neuen Mitglieder unverwechselbare Zeichen durch ihre Aktivitäten gesetzt, wie Sie im Bericht nachlesen können. Dank dafür! Diese Verbundenheit wird uns auch weiter tragen! Gedankt werden muss auch dem uns lange verbundenen Paritätischen Gesamtverband und dem BMFSFJ für ihre Unterstützung und Kooperation! Begleiten Sie uns auch in den kommenden Jahren, steuern Sie Ihre Ideen ein – bringen Sie sich ein in die IGfH!

Frankfurt a.M., im Juli 2014

Ihr Josef Koch (Geschäftsführer)