Vom Verschwinden der Jugendämter

ForE_2_1997

Lange Zeit war es in der Jugendhilfe unstrittig, daß eine wirksame Interessenvertretung der Belange junger Menschen eine BündeJung aller Aufgaben und Kompetenzen erfordert. Offensive Jugendhilfe versteht sich als dritter Sozialisationsbereich neben dem Elternhaus und der Schule. Förderung und Unterstützung von Mädchen
und Jungen umspannt den großen Bogen von der Förderung der Erziehung in der Familie, über die Kindertagesbetreuung, Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit bis hin zu den Leistungen der Hilfe zur Erziehung, der Inobhutnahme, der Förderung junger Volljähriger und der Beteiligung bei der Regelung der Personensorge. Um diese Aufgaben optimal wahrzunehmen, bedarf es einer klaren und starken Organisationsform. So wurde und wird denn auch die Etablierung des Jugendamtes als "sozialpädagogische Fachbehörde" als eine Errungenschaft angesehen und verteidigt. Mit der Inkraftsetzung des Kinderund Jugendhilfegesetzes (KJHG) schien die Diskussion um das Jugendamt ausgestanden. Das KJHG verpflichtet die Kommunen (Kreise und Städte) als örtliche Jugendhilfeträger, Jugendämter zu errichten. Nach einhelliger Ansicht von Kommentatoren des KJHG (Wiesner, Münder u.a.) ist es demnach nicht möglich, die im Gesetz genannten Leistungen und Aufgaben von anderen Stellen wahrnehmen zu lassen. Andererseits wird z.Z. diskutiert, daß man ohne Jugendamt als eindeutig erkennbarer Fachbehörde auskommen könne.

Die Zweigliedrigkeit des Jugendamtes - Jugendhilfeausschuß und Verwaltung - schafft zudem eine Sonderrolle, die sozialpädagogische Fachlichkeit und engagierte Jugendpolitik in den Kommunen verbinden soll. Die Beteiligung von freien Trägern im Jugendhilfeausschuß sichert dabei die Beteiligung von Expertinnen bei allen wichtigen Entscheidungen. Gerade auch für die jungen Menschen, die Hilfen zur Erziehung in Anspruch nehmen, ist die organisatorische Gestaltung der öffentlichen und freien Jugendhilfe von großer Bedeutung. Nicht zuletzt hängt von der Qualität der Entscheidungsfindung und der geleisteten Hilfen oft die weitere Lebensperspektive ab. Wie die öffentliche Jugendhilfe organisiert ist und wie das Zusammenwirken von öffentlichem Träger (Jugendamt) und den leistungserbringenden freien Trägern funktioniert, ist mitentscheidend für die Qualität von Jugendhilfe. Von daher war es der Redaktion von Forum Erziehungshilfen wichtig, sich mit der Frage nach dem "Verschwinden der Jugendämter" und den sich daraus ergebenden Konsequenzen zu beschäftigen und dies zum Schwerpunktthema zu machen.
Jochen Rößler stellt die Neuorganisation der sozialen Dienste in den Zusammenhang kommunaler Sozialpolitik. Nicht die Bewahrung eines "klassischen Jugendamtes", sondern die Gewinnung eines erweiterten Handlungsraumes durch Bündelung von Ämtern und Ressourcen ist demnach die Herausforderung an die kommunale Sozialpolitik.
Die Stellung des Jugendamtes auf der Basis des KJHG beschreibt Reinhard Wiesner. Die gewollte Organisationseinheit ,,Jugendamt" wird als Grundlage für eine konsequente Umsetzung des KJHG gesehen. Nicht Verringerung von Anstrengungen der Jugendhilfe, sondern eine Verbesserung der Leistungen für junge Menschen und ihre Familien sieht Herbert Wilts in der neuen Organisationsform der Stadt Wuppertal. Die Qualität der Jugendhilfeleistungen zu verbessern müsse das Anliegen sein und nicht die Bewahrung einer traditionellen Institution Jugendamt.
Dieter Greese schließlich plädiert für die konsequente Beibehaltung des Jugendamtes. Nur die klaren Zuordnungen der Jugendhilfeaufgaben und -kompetenzen zu einer Organisationseinheit ließen die immer notwendiger werdende Interessenvertretung für junge Menschen aussichtsreich erscheinen. Dieses Mandat des Jugendamtes gelte es zu stärken und nicht durch Zersplitterungen zu schwächen.
Dringend notwendig scheint es auf jeden Fall, daß sich die Fachkräfte aller Bereiche der Jugendhilfe mit den Neuorganisationsentwicklungen beschäftigen und die Diskussion darum nicht Betriebswirtschaftlern und Organisationsentwicklern allein überlassen.
Ullrich Gintzel

 

Themen
Seiten
64
Erscheinungsjahr
1997
Ausgabe
2
Sammelband
Nein
Ausgabe Jahr
1997