U-Haft-Vermeidung - Eine Herausforderung an die Jugendhilfe?

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Die nach den Paragraphen 7I und 72 des Jugendgerichtsgesetzes vorgesehene Vermeidung der UHaft bei Jugendlichen und Heranwachsenden durch Unterbringung in einem ,.geeigneten Heim der Jugendhilfe" gilt in der Jugendhilfe als Randbereich der Arbeit, und als unliebsamer dazu. Häufig entstanden nur deswegen spezielle Einrichtungen für diese JGG-Fälle, weil kein anderes Heim in der Region bereit war, sich mit den ,.Knackis" - und mit dem Justizsystem abzugeben.

 

Eine aktuelle Brisanz erhielt das Thema U-Haftvermeidung dadurch, daß mit den erheblich gestiegenen Zahlen jugendlicher U-Häftlinge der Druck der Justiz auf die Jugendhilfe zugenommen hat, in ihrem Sinne geeignete Unterbringungsformen als UHaft-Altemativen anzubieten. ,.Geeignet" erscheinen der Justiz in der Regel dann geschlossene Heime, die von der Jugendhilfe mittlerweile - und Gott sei Dank fast unisono als pädagogisch ungeeignet abgelehnt werden. Mit einem gewissen Recht könnte man die justiziellen Forderungen zurückweisen mit dem Hinweis, daß die Jugendgerichtsbarkeit erst einmal vor der eigenen Haustür zu kehren habe: Daß nämlich z. B. Jugendliche im Vergleich zu einer nachfolgenden Strafhaft viermal häufiger U-Haft verbüßen wie Erwachsene ist ein Skandal.

 

Dennoch meine ich, daß auch die Jugendhilfe "herausgefordert" ist, sich - schon im Interesse der Jugendlichen - dem streitbaren Dialog mit der Justiz zu stellen. Dieser kann indes nur dann zu einer unverkrampften Zusammenarbeit führen, wenn die unterschiedlichen Ziele der Jugendhilfe und der Justiz - erzieherische Förderung vs. Strafe - deutlich bleiben und nicht vermischt werden. Die Beiträge in diesem Heft liefern zu diesem Verständigungsproblem zwar keine Lösungen, klären aber die Ausgangslage, verdeutlichen den er- 50 hebliehen Mangel an UHaft-Altemativen bzw. effektiven Vermeidungsstrategien und markieren so mögliche Entwicklungslinien.

Hans-Dieter Will gibt einen Überblick über den jugendhilfepolitischen und praktischen Hintergrund der Diskussion um U-Haftvermeidung und macht die unterschiedlichen Verantwortlichkeilen und Aufgabenstellungen zwischen Jugendhilfe und Justiz deutlich.

Der Beitrag von Britta Bannenberg, Kriminologin an der Universität Halle/Saale, befaßt sich schwerpunktmäßig mit der Analyse und Diskussion der rechtlichen Grundlagen, empirischer Daten CU-Haft-Zahlen, Betroffene, Deliktstruktur) und den (wenigen) Alternativen zur U-Haft.

Annemarie Kuhn plädiert für eine verstärkte Nutzung des Täter-Opfer-Ausgleichs und anderer Formen außergerichtlicher Konfliktschlichtung gerade auch für die Gruppe potentieller U-Häftlinge.

Wolfgang Reinemann berichtet von der Hamburger Entwicklung im Bereich der UHaftvermeidung von der geschlossenen Heimgruppe für die ,.7I/72er" bis zum Versuch der Integration dieser Personengruppe in die normalen Wohngruppen, der aber offenbar schwierig verläuft.

AFET gegen Geschlossene Unterbringung

Die Arbeitsgemeinschaft ftir Erziehungshilfe - AFET hat am I. März 1995 eine deutliche Stellungnahme gegen die Praxis geschlossener Unterbringung von Kindem und Jugendlichen in der Jugendhilfe abgegeben. Der zentrale Satz lautet: ,.Geschlossene Unterbringung steht im Widerspruch zum Selbstverständnis und Auftrag der Jugendhilfe" (Auszug aus der Stellungnahme siehe Seite 74). Daß sich der AFET in seiner fast 90jährigen Geschichte nun erstmals klar gegen die GU positioniert hat, ist in vielfacher Hinsicht bemerkenswert. Nicht nur, daß die Stellungnahme einfach gut gemacht ist, indem die wesentlichen Contra- Argumente sachlich und deutlich zusammengetragen werden - und zugleich die Hand an die GU-Betreiber ausgestreckt wird, sich für Reformen zu öffnen. Ich denke im weiteren, daß der I. März 1995 sogar einen Meilenstein in Richtung auf eine kind- und jugendlichenzentrierte Erziehungshilfe darstellen könnte. Forum Erziehungshilfen, 1. Jg. 1995, H. 2

Ist das nicht zuviel der Ehre? Man könnte ja auch sagen, der AFET komme mit seiner Stellungnahme 15 bis 20 Jahre zu spät. Schließlich hätten sich ja andere Verbände wie insbesondere die IGfH schon viel früher ernsthaft und mit großem argumentativen Aufwand gegen das Einsperren von jungen Menschen aus erzieherischen Erwägungen ausgesprochen. Durch die Tatsache jedoch, daß der AFET als etablierter Verband bislang immer noch die GD-Praxis verteidigte (sogar in den 70er Jahren mit der argumentativen Wende von einem zuvor offen repressiven System zu einem nun als ,.intensiv-therapeutisch" verklärten die GU in die 80er Jahre rettete), gab es für belegende Jugendamts- Sozialarbeiter und für die geschlossenen Heime die bequeme Möglichkeit ihre Praxis via AFET als ,.fachlich" zu legitimieren. Dies ist nun nicht mehr möglich.

Es bleibt indes zu hoffen, daß nun kein ,,Massada"- Effekt bei den GD-Heimen einsetzt, sich die 9 oder 10 Einrichtungen mit vielleicht noch 200 Plätzen also nicht einbunkern und darauf vertrauen, daß sie nach wie vor belegt werden. Jetzt ist die Gelegenheit, den von Wolffersdortf und Sprau-Kuhlen bereits vor einigen Jahren im Anschluß an ihre umfangreichen Studien gemachten Vorschlag zu realisieren und bei ansonsten gleicher Personalausstattung und pädagogischtherapeutischem Aufwand zu wagen, Türen und Fenster offen zu lassen!

Reaktionen auf Heft 1 von "Forum Erziehungshilfen"

Auch im Namen der anderen Redakteurinnen möchte ich mich für die vielen positiven Rückmeldungen und die selteneren, aber genauso gefragten kritischen Anmerkungen zum ersten Heft von "Forum Erziehungshilfen" bedanken. In diesem Heft konnten wir bereits zwei Leserbriefe aufnehmen und wir hoffen, daß diese lebendige Form der Auseinandersetzung keine Ausnahmen bleiben werden.

Wolfgang Trede

Erscheinungsjahr
1995
Ausgabe
2
Sammelband
Nein
Ausgabe Jahr
1995