queer youth matter(s)

Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in stationären Hilfen

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ForE 5/2025 queer youth matter(s)

14% der nach 1997 Geborenen in Deutschland identifizieren sich als queer (IPSOS 2025, https:// tinyurl.com/3nzpnsd7). In den stationären Erziehungshilfen sind queere junge Menschen sogar überrepräsentiert: in der CLS-Studie verorten sich 31% der befragten jungen Menschen als LSBT+* – mehr als doppelt so viele wie in der Gesamtbevölkerung. Queeres Leben und Realitäten bilden sich somit zunehmend auch in den Statistiken und Studien zu jungen Menschen ab und werden sichtbarer. Sichtbarkeit ist dabei kein statischer Zustand, sondern eine tägliche Aushandlung – zwischen Selbstbehauptung, Risiko, Anerkennung und Verletzbarkeit. Normen der Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität markieren queere Vielfalt noch immer als „Anderssein“ und prägen früh Alltag, Körper und (Selbst-)Wahrnehmung. 

Eine junge trans*-Person beschreibt dieses Gefühl in einer aktuellen Studie so: „Wenn ich dann halt im Kleid auf die Straße gegangen bin, war es nicht, wie als Elefant in einen Porzellanladen [zu] laufen, sondern als Teller ins Elefantengehege – die ganze Zeit könnte ein Elefant auf dich treten… die ganze Zeit auf der Suche: Wo kommt jetzt der Stoßzahn und gabelt mich auf?“ (zit. nach Stemmer/ Gavranic u. a. 2024: 53, https://tinyurl. com/dji2024). 

Studien zeigen immer wieder, dass Coming-outs und queere Lebensrealitäten noch immer mit erhöhten psychischen Belastungen, struktureller Exklusion und Konflikten im familiären und sozialen Umfeld verbunden sind. Ebenso gerät queere Sichtbarkeit wieder zur Disposition: In zahlreichen Ländern werden erkämpfte Rechte auf Selbstidentifikation und queere Lebensentwürfe wieder in Frage gestellt oder gar abgeschafft, queer-feindliche Straftaten nehmen auch in Deutschland zu (BMI 2024: https://tinyurl.com/yavkjb9x). 

Genau dies berührt den Kernauftrag der Kinder- und Jugendhilfe: alle jungen Menschen in ihrer Entwicklung zu fördern, spezifischen Lebenslagen in den Blick zu nehmen, Benachteiligungen abzubauen, Selbstbestimmung sowie Teilhabe zu ermöglichen. Mit der Ergänzung von § 9 Nr. 3 SGB VIII haben die Gesetzgeber* innen diese Verantwortung ausdrücklich auch auf die Lebenslagen von „transidenten,nichtbinären und intergeschlechtlichen jungen Menschen“ ausgedehnt – als Anerkennung von fortbestehenden Ungleichheiten und Exklusionsrisiken in Bezug auf geschlechtliche (und sexuelle) Vielfalt. 

Angesichts der Überrepräsentanz queerer junger Menschen in stationären Hilfen (31% , CLS-Studie) stellt sich allerdings die Frage, inwiefern die Kinder- und Jugendhilfe dieser Verantwortung gerecht wird. Ist dieser Befund Ausdruck fortbestehender Exklusionserfahrungen und Indiz für unerkannte oder zu spät gesehene Lebenslagen und Konflikte (als Ursache oder in Überlagerung mit weiteren Aspekten)? Oder zeigt sich hier, dass stationäre Hilfen zunehmend auch „Safe(r) Spaces“ und damit Möglichkeitsräume werden, in denen queere junge Menschen sichtbar und selbstbestimmt sein können? 

Die vorliegende Ausgabe beleuchtet diese Spannungsfelder anhand der Erfahrungen queerer junger Menschen und aktueller Forschungsergebnisse: Angela Rein führt in zentrale Begriffe und Studien ein, die zeigen, wie stationäre Hilfen Unsichtbarkeiten und Exklusion bislang eher reproduzieren. Auf Basis der CLS-Studie zeigen Tanja Abou und Eric van Santen, welche Faktoren das Wohlbefinden und die Teilhabechancen queerer junger Menschen prägen und leiten Handlungsempfehlungen für Forschung, Praxis und Politik ab. Für den Kinder- und Jugendhilfe Landesrat Brandenburg bringt Sarah Rilke Forderungen junger Menschen an eine queer-sensible Hilfeplanung ein. Bert Elya-Noah Rozowski und Tanja Abou sprechen über die Verschränkung von „Queerness“ mit „stationärem Aufwachsen“ in ihren Biographien. Trotz großem Altersunterschied berichten beide von einer doppelten Unsichtbarkeit – als queere Personen in der Jugendhilfe und Careleaver*innen in queeren Communities. Anna Kallage und Han Ott beleuchten, wie queere Bildungsarbeit insb. Fachkräften Reflexion über Geschlecht und Sexualität ermöglicht. Hannelore Häbel erläutert § 9 Nr. 3 SGB VIII und zeigt: Geschlechtergerechtigkeit ist Strukturprinzip und kein „Nice-to-Have“. Francis Kasten kommentiert unter „Rechtsfragen“ das Selbstbestimmungsgesetz mit Blick auf junge Menschen. 


Lisa Albrecht, Tanja Abou

Preis
€12.00
Seiten
64
Erscheinungsjahr
2025
Ausgabe
5
Sammelband
Nein
Ausgabe Jahr
2025