Kindeswohl-Gefährdung

ForE_1_1997

Ein mit der Implementierung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes verbundenes wesentliches Anliegen des Gesetzgebers war es, den obrigkeitlichen Charakter der erzieherischen Hilfen in einen mehr partnerschaftlichen zu verwandeln.
Die seit einiger Zeit wieder intensiver geführte Diskussion um Jugendhilfe als einer Dienstleistung und die Rede vom Kunden haben die Entwicklung von der Ordnungstätigkeit hin zur Dienstleistung noch verstärkt. Zunächst geschah dies auf der eher symbolischen Ebene des Fachdiskurses, aber wohl auch immer häufiger in der alltäglichen Praxis (was nicht heißen soll, daß es nicht auch in Vor-KJHG-Zeiten partnerschaftliche Praxen gab). Diese Entwicklung ist richtig und wichtig. Andererseits darf aber nicht aus dem Blick geraten, daß Jugendhilfe sich nicht nur als Diensteleister gegenüber einem selbstbewußten Kunden verstehen darf, daß sie eben auch auf „die Not, die stumm bleibt" (Anne Frommann) reagieren muß, und daß Jugendhilfe in Ausübung des „staatlichen Wächteramtes" zur Sicherung des Kindeswohls die Interessen von Kindern zu schützen hat. Jugendhilfe ist hierbei die zentrale Informationsstelle und der maßgebliche Akteur bei eventuell notwendigen hoheitlichen Interventionen.


Im Themenschwerpunkt dieses Heftes sollen vor allem die Handlungsmöglichkeiten von sozialpädagogischen Fachkräften im Kontext der Gefährdung des Kindeswohls diskutiert werden. Im Vordergrund steht daher nicht eine theoretische Diskussion zum Thema Kindeswohl, sondern die Frage des Erkennens, Beurteilens, Entscheidens und Handelns in Situationen, wo „das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes durch mißbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes, durch unverschuldetes Versagen der Eltern oder durch das Verhalten eines Dritten gefährdet" (§ 1666 BGB ) ist. Damit richtet sich das Heft an Praktikerinnen, die in einem Feld arbeiten, wo das Dilemma zwischen „zu früh und zu spät" und zwischen „zu viel und zu wenig" (Goldstein) ein konstitutives Merkmal der Arbeit darstellt. Christia11 Schrapper stellt zunächst den verfassungs- und jugendhilferechtlichen Handlungsrahmen der Kinder- und Jugendhilfe dar.
Johannees Münder und Reinhold Schone befassen sich mit der Aufgabenteilung zwischen Jugendamt und Vormundschaftgericht im Falle der Kindeswohlgefährdung. Münder/Schone plädieren für eine erweiterte Zusammenarbeit beider Institutionen und für das - auch kreativere - Suchen nach möglichst konsensualen sozialpädagogischen Lösungen.  Jörg Fegert erläutert Möglichkeiten unct' Probleme ärztlicher Diagnostik und Intervention im Zusammenhang mit Gefährdungen des Kindeswohls. Offenkundig gibt es erhebliche Kooperationsprobleme zwischen dem Gesundheitsbereich und der Jugendhilfe, verschiedene von Fegert referierte Untersuchungen zeigen ein z.T. erschreckendes Unwissen der Ärzteschaft über die Hilfen des Jugendamtes.
Im Beitrag von Johanna Hartung geht es um Möglichkeiten und die Funktion psychologischer Begutachtung im Zusammenhang mit vormundschaftgerichtlichen Verfahren.
Die Interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft Hannover legt eine Sammlung von Leitfragen vor, mit deren Hilfe man im Sinne einer Orientierung womöglich eine Kindeswohlgefährdung erkennen kann. Den Autorinnen ist es jedoch wichtig, daß ihr Katalog nicht „rezeptologisch" angewendet wird.
Wolfgang Trede

Themen
Seiten
64
Erscheinungsjahr
1997
Ausgabe
1
Sammelband
Nein
Ausgabe Jahr
1997