NAP gegen Wohnungslosigkeit

Jugendliche und junge Erwachsene als besondere Bedarfsgruppe anerkennen
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Zwei Hände

Wohnungsnotstand und -losigkeit sind in Deutschland zu einem wachsenden Problem für junge Menschen geworden, insbesondere für Jugendliche und junge Erwachsene. Sie können als besonders vulnerable Gruppe in der Bekämpfung von Wohnungslosigkeit identifiziert werden (Feantsa 2020a). Dabei können verschiedene Lebenslagen herausgestellt werden:

  • Junge Menschen, die mit ihren Eltern in Wohnungslosigkeit geraten und in Angeboten der Wohnungsnotfallhilfe untergebracht sind. Hier wird der Anteil der Minderjährigen mit insgesamt 26% von 178.100 gezählten Personen im Jahr 2022 angegeben (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2022).
  • Jugendliche und junge Erwachsene, die auf der Straße leben und nicht/kaum durch die öffentlichen Hilfesysteme erreicht werden. Lt. einer Schätzung des Deutschen Jugendinstituts sind dies etwa 37.000 junge Menschen in Deutschland (Beierle/Hoch 2017), darunter etwa 6000 Minderjährige (Hoch 2017). „Das Phänomen der Straßenjugendlichen konzentriert sich zwar hauptsächlich auf urbane Räume, ist aber auch in ländlichen Regionen zu beobachten“ (Beierle/Hoch 2017).
  • Junge Erwachsene in Wohnungsnot oder Wohnungslosigkeit, die über keine ausreichende Existenzgrundlage verfügen und/oder auf dem Wohnungsmarkt keinen Zugang zu Wohnraum erhalten.
  • Careleaver*innen, die aus dem Hilfesystem heraus in keine sichere Wohnsituation begleitet werden oder aufgrund fehlender Unterstützung ihren Wohnraum wieder verlieren (Bleck et. al. 2014).
  • Junge Menschen, für die aufgrund konflikthafter Verhältnisse in ihren Familien ein Verbleib im Familienhaushalt nicht möglich ist (Family Leaver*innen - oft in verdeckten Formen von Wohnungslosigkeit).[1]

Diese Personengruppen finden in den bisherigen Strategien zur Bekämpfung der Wohnungslosigkeit zu wenig Beachtung. Es bedarf eines eigenen Handlungsplanes – einen Pakt – gegen Wohnungsnotstand und Wohnungslosigkeit junger Menschen. Junge Menschen sind indirekt und direkt von Wohnungsnotstand und Wohnungslosigkeit betroffen. Gerade junge Menschen, die bereits in vulnerablen Konstellationen aufwachsen und leben oder sich noch in Qualifizierungsphasen und beruflicher Ausbildung befinden, brauchen eigenen gesicherten und bezahlbaren Wohnraum, um die Bildungs- und Qualifizierungsanforderungen sowie Übergänge in Arbeit meistern zu können. Sicheres und eigenständiges Wohnen ist im jungen Erwachsenenalter ein wichtiges Element der Verselbständigung, wie es der 15. Kinder- und Jugendbericht herausgestellt hat (Deutscher Bundestag 2017). Es dürfen keine jungen Menschen beim Übergang aus der Kinder- und Jugendhilfe oder Familie oder zwischen und in Qualifizierungs- und Ausbildungsphasen in Wohnungsnotstand oder -losigkeit entlassen werden oder auf die Wohnungslosenhilfe angewiesen sein. Zudem: Lediglich in Großstädten wie Berlin, Köln, Hamburg oder Stuttgart reagiert das öffentliche Hilfesystem mit eigenen Angeboten für junge Wohnungslose – auch mit Schlafgelegenheiten und nicht nur mit Beratungsmöglichkeiten. Auch betreute Wohnangebote mit dem spezifischen Fokus auf Wohnen sind nur vereinzelt in größeren Kommunen vorzufinden.

Auf dem Wohnungsmarkt konkurrieren junge Menschen mit anderen Wohnungssuchenden, können aber in der Regel kein sicheres und kein ausreichendes Einkommen sowie entsprechende Sicherheiten vorweisen. Sie sind abhängig von der familiären Versorgung (werden z. B. im Rahmen des Bürgergeldes der Bedarfsgemeinschaft zugerechnet), auch wenn sie häufig nicht mehr im Familienhaushalt bleiben oder dorthin zurückkehren können. Beziehungskonflikte zählen zu den häufigsten Gründen für Wohnungslosigkeit junger Menschen, darunter insbesondere Care Leaver*innen (Frietsch et al. 2023).

Es gibt durchaus Möglichkeiten, im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe sowie dem der Sozialhilfe (§§ 67ff. SGB XII) akut mit Angeboten Abhilfe für Wohnungsnotlagen junger Menschen zu schaffen. Gleichzeitig gilt es, ihnen strukturell, z. B. im Rahmen von Housing-First-Infrastrukturen oder anderen praktischen Modellen für junge Menschen (Feantsa 2020b) Schutzräume und gesicherte Wohnmöglichkeiten und individuelle Begleitung zu bieten. Bei jungen Menschen unter 21 Jahren besteht hier in der gesetzlichen Logik der Kinder- und Jugendhilfe ohnehin eine besondere öffentliche Verpflichtung (Kinderschutz sowie Rechtsanspruch auf Hilfen für junge Volljährige gem. § 41 SGB VIII).

 

[1] Weiterführende statistische Informationen: Anhand des ersten Wohnungslosenberichts der Bundesregierung aus dem Jahr 2022 lässt sich die Größenordnung der betroffenen Minderjährigen und jungen Erwachsenen bis 25 Jahre näherungsweise ablesen. Bundesweit gelten am 31.01.22 insgesamt 263.000 Menschen wohnungslos (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2022). Von den 178.000 institutionell untergebrachten wohnungslosen Menschen, sind 47.200 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren (ebd.) Weiterführend hatten ca. 35.300 wohnungslose junge Menschen am 31.01.2022 keine Wohnung, davon lebten 18.800 in Unterkünften oder stationären Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe, 12.500 gelten als verdeckt wohnungslos, sind also bei Freund*innen oder Verwandten untergekommen (Sofa-Hopping und Couchsurfing) und 4.000 schliefen ohne Unterkunft auf der Straße oder in Behelfsunterkünften (Henke 2023).