Spezialisierung in der Kinder- und Jugendhilfe

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ForE 3-2013

„Gegenüber solcher Spezialisierung und Absonderung intensivieren sich Anstrengungen zu Hilfsangeboten, die nicht mit dem Preis der Aussonderung bezahlt werden müssen, sondern intendieren, Hilfen für Menschen mit besonderen Problemen in den Kontext allgemeiner Hilfen zur integrieren – und beschadet dessen, dass besondere und zusätzliche Anstrengungen und damit auch Dienstleistungen notwendig sind, die nicht in der Jugendhilfe ressortiert sind“.

Mit diesen Worten schließt noch optimistisch der Achte Kinder- und Jugendbericht (1990: 88) sein Unterkapitel zur Integration und Normalisierung in der Kinder- und Jugendhilfe. Das war vor 25 Jahren. Auch 2013 findet man im 14. Kinder- und Jugendbericht (2013: 293) im Kapitel über die Verfasstheit des Allgemeinen Sozialen Dienstes die Warnung, dass „diese Formen der (Re-)Spezialisierung zuvor generalistisch erbrachter Beratungs- und Hilfeleistungen (…) aber auch Diskontinuitäten und damit neue, qualitativ nachteilige Schnittstellen zulasten einer achtsamen, an den Bedürfnissen der Adressaten orientierten und wirkungsvollen Kinder- und Jugendhilfe schaffen“ können.

Trotz dieser – im aktuellen Kinder- und Jugendbericht schon verhaltener vorgetragener – Skepsis gegenüber der Ausgründung von immer neuen Spezialgruppen und neuen Spezialdiensten und dem verbreiteten Bezug auf die Lebensweltorientierung scheint die Praxis einen anderen Weg zu gehen. Es fällt auf, dass eine bessere Ressourcenausstattung bei dieser Ausgründung von spezialisierten Angeboten vor allem der Heimerziehung deutlich im Vordergrund steht und erst an zweiter oder dritter Stelle eine sozialpädagogische Begründung.

Dabei gab und es gibt es auch Formen von fachlicher Spezialisierung, die im Sinne einer positiven Diskriminierung eine besondere Unterstützung von Zielgruppen (z.B. bei der geschlechterspezifischen Arbeit u.a.m.) zum Ziel hatte und auch die Angebotsausdifferenzierung nach dem KJHG führte zu Spezialisierungen im Gewande der Verfachlichung. Aber so wie die Angebotsdifferenzierung auch neue Zuständigkeitsproblematiken schuf, so hat die – davon zu unterscheidende - Etablierung von Gruppen anhand von defizitären pathologischen Definitionen anhand von Anleihen aus der Psychiatrie/Medizin auch negative (Neben)Folgen für die Adressat_innen und das Hilfesystem. Das vorliegende ForE-Heft geht diesen Entwicklungen durch fünf Beiträge nach:

Michael Behnisch zeigt, wie es historisch in der sozialen Daseinsfürsorge immer wieder zu Spezialisierungsschübe kam, die großer Nähe zu jeweils gültigen gesellschaftlichen und politischen Leitmotiven hatten und weist daraufhin, dass mögliche Negativeffekte von Spezialisierungen epochenübergreifend ähnliche Muster aufweisen, wie z.B. problematische Effekte der psychiatrischen Kategorisierung und die Vernachlässigung pädagogischer Identität der Erziehungshilfen.

Roland Berner setzt sich dann konkreter mit der Tendenz der Differenzierung von Regelleistungen und individuelle Zusatzleistungen sowie unterschiedlichen Typen von Spezialgruppen vor allem innerhalb der stationären Erziehungshilfen am Beispiel von Baden-Württemberg auseinander.

Nicole Knuth legt am Beispiel Nordrhein-Westfalens nach und verdeutlicht, dass die amtliche Kinder- und Jugendhilfestatistik nicht geeignet ist, empirische Schlüsse zur Entwicklung von „Spezialgruppen“ zu treffen, sehr wohl aber lokal Aussagen über die „Schwächung“ der sogenannten „Regelgruppen“ der Heimerziehung  zu konstatieren sind.

Hans-Ullrich Krause stellt vor dem Hintergrund einer kleinen Befragung von betreuten Heranwachsenden die Frage: Was halten junge Menschen in den Erziehungshilfen davon, spezielle Einrichtungen für Jugendliche mit „speziellen Problemen“ zu entwickeln und vorzuhalten?

Petra Hiller ergänzt anschließend die Sichtweisen von Mitarbeiter_innen aus sogenannten Regel- und Spezialgruppen. Sie schlussfolgert aus den Aussagen, dass bei der Frage nach der Vermeidung von Spezialgruppen das tatsächlich existierende Ressourcendefizit der Regelgruppen öffentlich zum Thema werden muss und die sozialpädagogischen Leistungen und Anforderungen der Gruppen- wie Individualpädagogik.

Friedhelm Peters rahmt schließlich wie anfangs Michael Behnisch die aufgezeigten Entwicklungen und deutet die zunehmende Spezialisierung vor allem in der stationären Erziehungshilfe als Ausdruck einer zunehmenden Marktförmigkeit der Hilfen, die auf ökonomischen Gründen basiert, und auf gesellschaftlich veränderte Konstruktionen des „auffälligen Kindes/Jugendlichen“ verweist.

Josef Koch

 

 

Aus dem Inhalt

Norbert Struck
„Care Leavers“ – eine notwendige neue Diskussion in Deutschland!

Michael Behnisch
Spezialisierung in den Erziehungshilfen. Historische Seitenblicke auf eine aktuelle Debatte

Roland Berner
Spezialisierung wider Willen? Nichtintendierte Folgen der Vereinbarungen nach § 78 b SGB VIII

Nicole Knuth
Spezialisierung der stationären Erziehungshilfe: Auf der Suche nach Daten und Fakten

Hans-Ullrich Krause
Dann bist du  ein Problem - Jugendliche äußern sich zum Thema Spezialisierung in der Jugendhilfe

Petra Hiller
Welche Voraussetzungen braucht ein integratives stationäres Gruppenangebot? Antworten aus Sicht von MitarbeiterInnen und LeitungsmitarbeiterInnen eines Einrichtungsverbundes

Friedhelm Peters
Spezialisierung der Erziehungshilfen? Über Gründe und Abgründe der neuen Spezialisierung

Britta Sievers
Die Care Leavers Association Großbritannien – ein Beispiel einer Selbstorganisation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die in stationären Hilfen aufgewachsen sind

Udo Buschendorf
Beziehungen ermöglichen –„... als hätte man eine Tante, die sich kümmert“

Stefan Köngeter, Wolfgang Schröer, Maren Zeller
Wann gelingt Heimerziehung? Pädagogisches Handeln in prekären Beziehungen    

Hannelore Häbel
„Sexuell grenzverletzende“ Kinder und Geschlossene Unterbringung
Zum Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 24.10.2012 (Az.: XII ZB 386/12)

Erscheinungsjahr
2013
Ausgabe
3
Sammelband
Nein
Ausgabe Jahr
2013