Situation Unbegleiteter Minderjähriger Flüchtlinge in Deutschland
Statement des EREV und der IGfH
Vor dem Hintergrund bestehender internationaler Übereinkommen wie der UN Kinderrechtskonvention, dem Internationalen Kinderschutzübereinkommen, dem Haager Minderjährigen Schutzabkommen oder auch der Brüssel-IIa-Verordnung und aufgrund der klaren Rechtsnorm in § 6 (2) SGB VIII kann kein Zweifel daran bestehen, dass Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge eine der Zielgruppen der Jugendhilfe sind. Daraus leitet sich ein Primat der Jugendhilfe ab: Jugendhilfe muss die zentrale Instanz in der Betreuung und Versorgung von UMF sein. Hinsichtlich der bestehenden Regelungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht bedeutet das Primat, dieses unter der vorrangigen Berücksichtigung des Kindeswohls (sowohl generell als auch im jeweiligen Einzelfall) zu überprüfen – unter Einbeziehung und Federführung durch die örtlich zuständigen Jugendämter.
Die Jugend- und Familienministerkonferenz ( JFMK ) hat am 31.05./01.06.2012 in Hannover festgestellt, dass alle UMF am Ort ihres Ankommens in Obhut zu nehmen sind und dass Jugendhilfe Vorrang vor ausländerrechtlichen Regelungen hat. Den Beschluss finden Sie als Download im Anhang dieser Nachricht.
Die Erziehungshilfe-Fachverbände, Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH) und Evangelischer Erziehungsverband (EREV), fordern in einem politischen Aufruf: Eine Jugendhilfe für alle Kinder und Jugendliche! (vollständiger Text des Aufrufes im Anhang dieser Nachricht oder in Sozialmagazin Nr. 7-8 (2012), S. 82-85.)
Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (UMF) sind qua Gesetz eine reguläre Zielgruppe des Kinder- und Jugendhilfesystems. Viele Bundesländer haben in den letzten Jahren Inobhutnahme-Stellen und Clearinghäuser für UMF geschaffen bzw. ausgebaut, nur bei einigen verbliebenen Ländern fehlt bislang der politische Wille, dass alle Minderjährigen, auch die 16-17-jährigen Jungen, im Rahmen der Jugendhilfe versorgt werden müssen, ganz gleich welcher Nationalität sie angehören. Die bundesweit tätigen Fachverbände für Erziehungshilfen, Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH) und Evangelischer Erziehungsverband (EREV) fordern,
- dass die Inobhutnahme von Unbegleiteten Minderjährigen Flüchtlingen nur in Einrichtungen durchgeführt wird, die eine Betriebserlaubnis i.S.v. § 45 SGB VIII für Inobhutnahmen nach § 42 SGB VIII haben.
- die Regelungen des § 42 SGB VIII sowohl in den entsprechenden Gesetzen als auch in den entsprechenden Weisungen an die Bundespolizei als vorrangig zu verankern. Auch vom Flughafenverfahren sind UMF ohne Einschränkungen auszunehmen, da dieses nicht mit dem Kindeswohl vereinbar ist. Kinderschutz geht vor Grenzschutz.
- die Handlungsfähigkeit in Asyl- und Aufenthaltsrecht von 16 auf 18 Jahre anzuheben. Damit gilt eine einheitliche Altersgrenze für alle jungen Menschen. Gleichzeitig ist analog der Regelungen in § 159 FamFG eine Pflicht zur Anhörung von UMF in allen asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren ab dem 14. Lebensjahr einzuführen.
- das Hilfeplanverfahren gemäß § 36 SGB VIII zum zentralen Instrument beim Umgang mit UMF weiter zu entwickeln und die regelmäßige Bestellung einer Ergänzungspflegschaft, bzw. die Hinzuziehung eines geeigneten Rechtsanwalts durch das jeweilige Jugendamt.
Bereits im Nationalen Aktionsplan für ein kindergerechtes Deutschland (2005-2010) sind u.a. die Ziele einer Unterbringung der unbegleiteten Jugendlichen in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe mit strukturiertem Clearingverfahren im Rahmen der Inobhutnahme klar definiert und als politische Ziele benannt worden. Auch das am 23.05.2012 veröffentlichte Papier des AFET verweist erneut auf diese Handlungserfordernisse. Aus Sicht von IGfH und EREV ist nun dringend notwendig, die fachpolitischen Debatten schnell in die Praxis zu überführen, um endlich allen Unbegleiteten Minderjährigen Flüchtlingen den Zugang zur Jugendhilfe zu ermöglichen.