Evaluationsbericht der Bundesregierung zum Verteilverfahren unbegleiteter Minderjähriger

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Bericht

Im Juli hat das Bundeskabinett den „Bericht zur Evaluation des Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung unbegleiteter ausländischer Minderjähriger“ beschlossen. Der Bericht der Bundesregierung zielt auf die Wirkung des Gesetzes und bezieht sich dabei wiederum auf folgende Quellen:

Die Bundesregierung bewertet das im Jahr 2015 mit diesem Gesetz eingeführte Verteilverfahren überwiegend positiv:  "Die unbegleiteten Minderjährigen erhalten weitgehend eine rechtssichere und kindeswohlgerechte Erstaufnahme und Versorgung im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme. Die quotenbasierte Aufnahmeverpflichtung und das Verteilverfahren werden funktional, praktikabel und weitgehend rechtssicher organisiert und umgesetzt. [...]" (Zentrale Ergebnisse, vorgestellt vom Bundesfamilienministerium [ BMFSFJ ] am 14.07.2021).

Aus Sicht der IGfH referiert keiner der oben genannten Berichte Materialien zu der grundlegenden Frage, ob das Umverteilungsverfahren sinnvoll ist. Die von der UN-Kinderrechtskonvention geforderte Berücksichtigung des Kindeswohls als vorrangig zu berücksichtigender Gesichtspunkt (Art. 3 Abs. 1)
de facto eine Begründungspflicht des Gesetzgeberswird im Evaluationsbericht in keiner Weise diskutiert. Stattdessen wird lediglich wiederholt behauptet, das Umverteilungsverfahren diene dem Kindeswohl. Eine transparente und ehrliche Darstellung der Entscheidungen zwischen administrativen Interessen, Kostenumverteilungsinteressen und Kindeswohlaspekten findet nicht statt. Auch die alters- und reifeangemessene Beteiligung der Kinder und Jugendlichen an Entscheidungen über ihre eigenen Angelegenheiten nach Art. 12 KRK ist bezogen auf die Einzelfälle gar nicht evaluiert worden. Die IGfH hatte zuletzt in 2019 zur Abfrage des BMFSFJ anlässlich des vierten Berichts der Bundesregierung zur Situation unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter kritisch Stellung bezogen (zur IGfH-Stellungnahme)

Auch der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF) betont, dass die Beurteilung der Bundesregierung den Erkenntnissen, die der BumF seit Inkrafttreten des Verteilverfahrens aus den jährlichen Befragungen von Fachkräften, Einzelfallberatungen sowie Fortbildungen und Fachveranstaltungen gewonnen und in einem aktuellen Themendossier versammelt hat. "Starre Zuständigkeiten, scheiternde Familienzusammenführungen und Mängel bei Rechtsschutz und rechtlicher Vertretung befördern Abgängigkeiten von Jugendlichen", so der BumF (23.08.2021) und macht deshalb seit November 2015 immer wieder darauf aufmerksam, dass...

  • ...das quotenbasierte Verteilverfahren sein zentrales Ziel, eine kindeswohlorientierte Betreuung, Versorgung und Unterbringung zu gewährleisten, nur sehr eingeschränkt erreichen kann;
  • ...das Gesetz den Erhalt guter Aufnahmestrukturen nicht begünstigt und der Dynamik von Migrationsbewegungen sowie den Bedarfen der Minderjährigen nicht gerecht wird und dass
  • ...viele der prognostizierten negativen Folgen des Umverteilungsgesetzes eingetreten sind: So führen starre Zuständigkeiten und fehlende Regelungen von Zusammenführungen mit Verwandten beispielweise zu Abgängigkeiten von Jugendlichen. Aufgrund des verkürzten und unklar geregelten Rechtschutzes, mangelnder Beteiligung der Jugendlichen sowie des Fehlens einer unabhängigen rechtlichen Vertretung können sie ihre Rechte zudem nur schwer durchsetzen." 

Der BumF empfiehlt daher grundsätzlich am Kindeswohl orientierte Änderungen am Verteilverfahren. „Wir brauchen wieder ein Verfahren, bei dem ausschließlich die Bedarfe der Minderjährigen über den Unterbringungsort entscheiden, damit Hilfen gelingen und langfristige Perspektiven geschaffen werden können“, so Johanna Karpenstein vom BumF.

Weitere Quellen:
Pressemitteilung des BMFSFJ vom 14.07.2021
BumF-Themendossier vom 23.08.2021

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