1st International Care Leavers Convention 2020

Bericht zur weltweiten Vernetzungskonferenz von Careleaver*innen
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Careleavers Convention

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Careleaver*innen, (junge) Menschen mit stationärer Jugendhilfeerfahrung, gibt es in nahezu allen Ländern der Welt und überall bestehen ähnliche Übergangsbarrieren, die zu einer strukturellen Benachteiligung in der gesellschaftlichen Teilhabe führen. So enden Jugendhilfemaßnahmen vielerorts mit dem Eintritt der Volljährigkeit, sodass die jungen Menschen ohne oder mit wenig (professioneller) Unterstützung den Übergang ins Erwachsenenleben bewältigen. Wie bereits in vorherigen Beiträgen berichtet („Deutsch-Indische Partnerschaft zum Aufbau eines internationalen Care Leaver Netzwerks“ in Forum Erziehungshilfen, Heft 5/2020), arbeitet das Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Universität Hildesheim seit 2018 gemeinsam mit der indischen NGO „Udayan Care“ an dem Aufbau eines internationalen Careleaver*innen-Netzwerks. Inzwischen sind zudem auch SOS Children’s Villages International sowie die niederländische Organisation Stichting Kinderperspectief Teil des internationalen Kooperationsteams. Gemeinsam mit Careleaver*innen aus verschiedenen Ländern treibt das Team die internationale Bewegung voran und baut ein globales Netzwerk aus jungen (volljährigen) Menschen, Praxisvertreter*innen, Wissenschaftler*innen und anderen Interessenvertreter*innen („advocates“) auf.

Für März 2020 war eine Begegnung von 120 Careleaver*innen aus etwa 25 Ländern weltweit sowie Fachkräften und Wissenschaftler*innen in Neu Delhi (Indien) geplant. Die Veranstaltung musste aufgrund der COVID-19 Pandemie kurzfristig abgesagt werden. Doch das internationale Organisationsteam gab die Idee nicht auf und verfolgte weiterhin das Vorhaben, Careleaver*innen global zu vernetzen und in einen Austausch zu bringen. Durch die neu gewonnenen Erfahrungen der COVID-19-Pandemie, welche erneut und zugespitzt aufzeigten, wie wenig Ressourcen Careleaver*innen insbesondere in Krisensituationen zur Verfügung stehen, wurde mit viel Engagement Anfang Juni 2020 ein internationaler digitaler Workshop mit über 100 Teilnehmer*innen durchgeführt. Ziel des Workshops war es, die Idee eines internationalen Careleaver*innen Netzwerks weiterzudenken und insbesondere die aktuellen Herausforderungen für die jungen Menschen im Leaving-Care-Prozess zu diskutieren.  Ergebnis dieses Zusammentreffens ist unter anderem die gemeinsam verfasste „Declaration on Responding to the transnational needs of Care Leavers amidst COVID-19 & beyond“, welche kostenlos, bspw. auf der Seite des Careleaver e.V. (www.careleaver.de), heruntergeladen werden kann. Die Überzeugung des internationalen Organisationsteams, der Stimme der Careleaver*innen weltweit mehr Gehör zu verschaffen, wurde nicht nur durch diesen Workshop erneut bestärkt. Es entstand darüber hinaus die Idee, die ursprünglich geplante Konferenz trotz der Einschränkungen durch COVID-19 digital stattfinden zu lassen, um somit der bereits in Gang gesetzten und spürbaren globalen Bewegung eine Plattform zu geben. Die Umstellung auf ein digitales Format brachte zudem den Vorteil mit sich, für viel mehr Menschen zugänglich zu sein, als dieses bei einer Präsenzveranstaltung der Fall gewesen wäre.

Die „International Care Leavers Convention“ fand schließlich vom 23.-25. November 2020 in digitaler Form statt. Sie richtete sich insbesondere an Careleaver*innen sowie Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe, Interessenvertreter*innen aus der Politik und Wissenschaftler*innen aus dem Bereich Leaving Care. Aber auch alle anderen Interessierten waren herzlich eingeladen, die Konferenz zu besuchen. Die Teilnahme war kostenlos und wurde durch eine einfache Online-Registrierung ermöglicht. Insgesamt nahmen ca. 1450 Personen teil – aus 84 Ländern. Die Konferenz bestand neben der dreitägigen Hauptveranstaltung aus einer Reihe von vier Pre-Events, einer „Special Session“ insbesondere für Interessierte aus Süd- und Nordamerika (aufgrund der Zeitverschiebung) sowie einem für den 11. Dezember 2020 angesetzten Post-Event, welches den Austausch über die Kernergebnisse der Konferenz zwischen Careleaver*innen und politischen Interessenvertreter*innen in den Mittelpunkt stellt. Careleaver*innen waren an der Vorbereitung und Durchführung aller Programmpunkte aktiv beteiligt. So waren sie u.a. fester Teil des Organisationskommitees und führten als Moderator*innen durch alle drei Tage der Hauptveranstaltung.

Für die Hauptveranstaltung wurde ein virtuelles Kongresszentrum eingerichtet, durch welches sich die Kongressbesucher*innen bewegen konnten. Ob im Auditorium, am Infostand, in der Ausstellungshalle oder am Selfie-Point, ob im Gespräch mit anderen Besucher*innen, beim Verfolgen einer der Diskussionsrunden oder beim Bestaunen der zahlreichen Videos und Poster, überall bestand die Möglichkeit, an dem internationalen Austausch (interaktiv) teilzunehmen. Alle Informationen und Materialien sowie die aufgezeichneten Veranstaltungen finden sich unter: http://careleaverscommunity.org/convention.html 

Die Konferenz stellt das erste internationale Careleaver*innen Forum dieser Art dar. Es wurden Themen wie die politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen für Leaving-Care-Prozesse, die globalen Herausforderungen von Careleaver*innen unter Hervorhebung der aktuellen Krisensituation sowie Good-Practice-Beispiele für Unterstützungsangebote für die jungen Menschen unter Einbezug der verschiedenen Perspektiven und insbesondere im Hinblick auf ihre Bedarfe diskutiert. Hier wurde u. a. die Bedeutung von Careleaver*innen Netzwerken in den einzelnen Ländern hervorgehoben. Die beteiligten Careleaver*innen nutzen die Austauschplattform zudem dazu, um mit Statements, wie “Those who decide for us have not lived our lives, so listen to us while making policies for us!” und „Would you do this to your own children?“ gegenüber dem internationalen Publikum auf ihre Lebenslagen zu verweisen und insbesondere die (politischen) Interessenvertreter*innen auf ihre Verantwortung für diese hinzuweisen. Dabei wurde der Abhängigkeit der jungen Menschen von dem Engagement anderer (Interessenvertreter*innen, Fachkräfte, etc.) durch Aussagen wie „My life is your job!“ Nachdruck verliehen. Es zeigte sich insgesamt ganz stark, dass trotz mitunter unterschiedlicher rechtlicher Rahmungen des Leaving-Care-Prozesses in den unterschiedlichen Ländern sowohl die jungen Menschen als auch Fachkräfte und Wissenschaftler*innen von ähnlichen Herausforderungen im Übergang aus den Hilfen in ein eigenständiges Leben berichten. Diese Erfahrungen haben insbesondere unter den Careleaver*innen ein Gemeinschaftsgefühl entstehen lassen.

Einer der Höhepunkte der Konferenz stellte die Präsentation der im Laufe der Veranstaltungsreihe gewonnenen Kernaussagen dar. Am Mittwochvormittag präsentierten die fünf Moderator*innen Karishma (Indien), Nimmu (Sri Lanka), Neelam (Indien), Fabienne (Österreich) und Ruth (Kenia) die 12 Punkte, welche durch einen aktiven Einbezug der Konferenzbesucher*innen im Nachhinein auf 17 Punkte erweitert wurden. Zudem gab es die Möglichkeit, die festgehaltenen „Key-Takeaways“ zu listen und zu gewichten. Dabei wurden die folgenden drei Aussagen als wichtigste herausgestellt:

  • 25 should be the new 18 - soft landing from planet youth care on planet earth!
  • We should have a seat at the table at international forums, UN, etc.!
  • We need to build an International Care Leaver`s Network and work towards the 2nd International Care Leaver`s Convention 2022!

Die gemeinsam gestaltete „Care Leaver Agenda” wurde beim Post-Event am 11. Dezember 2020 präsentiert und gemeinsam mit Interessenvertreter*innen aus verschiedenen Ländern diskutiert. Zudem soll die Agenda in verschiedenen Formaten sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene weiter diskutiert und ausgestaltet werden, um in zwei Jahren erneut bei der nächsten internationalen Care Leavers Convention zusammenzukommen.

Die diesjährige International Care Leavers Convention ist damit zwar beendet, sie stellt jedoch lediglich einen Teil eines global angestoßenen Prozesses dar. Um es final mit den Worten von Ruth Wacuka (Kenya Society of Care Leavers) zu sagen: „We are not done. We are just getting started!”

Dorothee Kochskämper, wiss. Ma. am Institut für Sozial- und Organisationspädagogik der Uni Hildesheim,  kochskaemper@uni-hildesheim.de