Am Primat der Kinder- und Jugendhilfe wird gekratzt! Junge Geflüchtete sind und bleiben Adressat*innen der Kinder- und Jugendhilfe
Die IGfH begleitet die Weiterentwicklung und Stärkung der Rechte junger Geflüchteter seit Jahren und wird sich auch weiterhin dafür einsetzen. Die IGfH als bundesweite Fachorganisation bemerkt jedoch, dass sich die Diskurse zu den Rechten junger Geflüchteter verschieben und die Einschränkung von Grundrechten der jungen Menschen von öffentlichen und freien Trägern gefordert werden. Die von einigen Bundesländern veröffentlichten Erlasse und Empfehlungen sind – so González Méndez de Vigo und Endres de Oliveira (2024) eindeutig – nicht mit nationalem und internationalem Recht im Einklang. Dies scheint – und auch dies beunruhigt die IGfH – kein Hindernis zu sein. Auf Nachfragen bei öffentlichen Trägern, wird erläutert, dass die Kommunen einen großen Druck auf die Landesbehörden und -regierungen ausüben würden, sodass die Anpassungen unumgänglich seien. Die Kommunen seien überfordert und wüssten nicht, wie sie die unbegleiteten Kinder und Jugendlichen nach ihrer Flucht nach Deutschland den Standards der Kinder- und Jugendhilfe entsprechend versorgen und unterbringen sollen. Diese Position wird auch von anderen Fachvertreter*innen in der Kinder- und Jugendhilfe immer wahrnehmbarer.
Ausgangspunkt für die Anpassungen von Qualitätsstandards bei der Versorgung, Unterbringung und Unterstützung von umF sind die – wie beschrieben – geäußerten Überlastungsanzeigen von Kommunen. Eine Recherche zu empirischen Studien bezüglich der Belastungen von Kommunen in dieser Frage, hat ergeben, dass es wenig bis kein empirisches Wissen über Belastungen der Kommunen gibt und auch keine Pläne dazu, wie akut und langfristig Kommunen in der Versorgung, Unterbringung und Unterstützung von umF unterstützt werden sollen. Die Studie zur kommunalen Belastung in der Versorgung von Geflüchteten der Universität Hildesheim vom November 2023 zeigt auf, dass „Knapp 60 Prozent der befragten Kommunen die Lage als „herausfordernd, aber (noch) machbar“ beschreiben; 40 Prozent hingegen von einer „Überlastung“ beziehungsweise sich „im Notfallmodus“ sehen. Die Studie macht auch deutlich, dass die Belastungen regional sehr unterschiedlich sind und hier differenziert werden muss. Sie verdeutlich aber auch, dass die öffentliche Diskussion kritisch und faktenbasiert begleitet werden muss. Auf welcher empirischen Grundlage zur Belastung der Kommunen die Bundesländer, respektive die obersten Landesbehörden der Kinder- und Jugendhilfe die Grundrechte von umF einschränken, bleibt unklar. Es braucht mehr systematisches Wissen über die Versorgung, Unterbringung und Unterstützung in den Kommunen, als bisher.
Der fachliche Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe, der sich nicht nur über Grundrechte, sondern auch entlang fachlicher Entwicklungen und Forschung sowie über die Anforderungen der Adressat*innen bestimmt, ist jedoch ein anderer: Es muss um Lösungen und Umsetzung von Rechtsansprüchen gehen und nicht um „Pragmatismus“ in der Mangelverwaltung und der Anpassung von Rechtsansprüchen entlang von Kapazitätsengpässen und Haushaltslagen. Fachverbänden und -organisationen kommt genau in dieser Frage eine Schlüsselrolle zu, nämlich sich für die Rechte der jungen Menschen stark zu machen.
Die IGfH schaut vor dem Hintergrund der aktuellen Fachdiskussionen und Entwicklungen mit Sorge in die Zukunft, was die Versorgung, Unterbringung und Unterstützung von geflüchteten jungen Menschen in Deutschland angeht. Nicht nur die Diskurse in der Kinder- und Jugendhilfe zu den umF, sondern auch die GEAS-Umsetzung in der EU und der damit verbundenen Fortsetzung der Entrechtung von geflüchteten Menschen in Deutschland sorgen die IGfH, die sich seit ihrer Gründung auch für die Rechte junger Geflüchteter – national und international – einsetzt.
Zur Stellungnahme
Ansprechperson
Stefan Wedermann | stefan.wedermann [at] igfh.de